Wenn öffentlich über eine nachhaltige Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft debattiert wird, steht kaum ein Phänomen so stark im Fokus der Kontroverse wie „Fast Fashion“. Jedes Jahr landen in der EU pro Person 11,3 Kilogramm Textilien im Müll. Jede Sekunde wird irgendwo auf der Welt eine LKW-Ladung Textilien auf einer Deponie entsorgt oder verbrannt. Ein Geschäftsmodell, das für große Retailer aufgeht. Der weltweit größte Fast-Fashion-Konzern „Inditex“ mit Marken wie Zara und Massimo Dutti erzielte 2021 einen globalen Jahresumsatz von mehr als 27 Mrd. Euro. Die Umweltfolgen von Fast Fashion sind erheblich. Eine Quantifizierug ist bislang nur näherungsweise möglich. Studien gehen jedoch davon aus, dass allein der Bekleidungssektor für 2 bis 8 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich ist.
Zeit zu Handeln ist heute!
Die in Deutschland produzierende Textil- und Bekleidungsindustrie setzt sich seit einigen Jahren verstärkt mit den Schritten auseinander, die für eine Transformation zu einer Circular Economy notwendig sind. Um das Ökosystem von Textilindustrie und Textilforschung bei der nachhaltigen Transformation zu unterstützen, hat die EU im Rahmen des „Green Deal“ im März dieses Jahres eine Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien vorgestellt.
Konkret sollen auf dieser Grundlage klare Anforderungen definiert werden, u.a. Design-Vorgaben für langlebige, reparierbare und recyclebare Textilien und Mindestrezyklatanteile. Zusätzlich sollen ein digitaler Produktpass eingeführt und die erweiterte Herstellerverantwortung gestärkt werden.
Mehr als Fast Fashion: Die deutsche Textil- und Modeindustrie
Um die Ausgangslage und die konkreten Herausforderungen für die notwendige Transformation zur Circular Economy zu verstehen, sind die strukturellen Voraussetzungen der Textil- und Bekleidungsindustrie in Deutschland wichtig. So muss zwischen dem Phänomen „Fast Fashion“ – das in Deutschland fast ausschließlich im Retailsektor vorkommt – und der in Deutschland produzierenden Textil- und Bekleidungsindustrie unterschieden werden. Letztere erzielte hierzulande 2020 einen Umsatz von rund 16,5 Mrd. Euro. Rund 60 Prozent entfallen auf sogenannte technische Textilien:, z. B. Vliesstoffe (etwa für Filtersysteme), funktionalisierte Spezialtextilien wie feuerbeständige Textilien für Schutzbekleidung oder Carbonbeton. Nur 28 Prozent des Branchenumsatzes werden mit Bekleidung erzielt.(Quelle: Textil+Mode)
In Deutschland produzierende Unternehmen setzen bereits heute überwiegend auf hochwertige und langlebigere Produkte. Sie reklamieren daher für sich, ein wichtiger Teil der Lösung sein zu wollen, wenn es um die Frage geht: Wer produziert künftig textile Produkte in einer Circular Economy? Hier ist jedoch auch für die hiesige Industrie noch ein weiter Weg zu gehen.
Transformation ist gesellschaftliche Herausforderung
Das Forschungskuratorium Textil e. V. hat sich in einer mit Unterstützung des Instituts für Innovation und Technik (iit) durchgeführten Studie der Frage gewidmet, wie der Branche die Transformation von einer linearen zur zirkulären Wertschöpfung gelingen kann. Die Studie zeigt u. a., welche gesellschaftlichen und ökonomischen Herausforderungen zu lösen sind, um diese Transformation zu verwirklichen. Wichtig dafür ist vor allem breiter gesellschaftlicher Rückhalt. Eine weitere Grundlage ist das Bewusstsein für den Wert von Bekleidung und die Veränderung des Konsumverhaltens.
Es Bedarf transparenter Aufklärung über die Ökobilanz von Konsumartikeln, damit Verbraucher:innen überhaupt eine Chance haben, die Umweltauswirkungen in ihre Kaufentscheidung einzubeziehen.
In der öffentlichen Debatte wird häufig die Verantwortung mündiger Verbraucher:innen betont. Dabei sind „Verbraucher:innen“ jedoch vor allem eines: Teilhabende im demokratischen Meinungsbildungsprozess, mithin Bürger:innen. Aufklärungskampagnen und andere Initiativen zur Sensibilisierung dürfen sich daher nicht auf den Menschen als Verbraucher:in beschränken. Sie müssen Bürger:innen überzeugen und den Rückhalt für geeignete politische Maßnahmen stärken, um zentrale ökonomische Barrieren auf dem Weg in eine textile Circular Economy zu überwinden. Soll die Transformation gelingen, müssen bis Mitte der 2020er Jahre die notwendigen Weichen gestellt sein – das sind noch knapp drei Jahre. Dazu braucht es neues Denken in Unternehmen und Gestaltungswillen politischer Entscheider:innen.
Neues Denken, neues Handeln: Anforderungen an Unternehmen
Die nachhaltige Zukunft der Textil- und Bekleidungsindustrie beginnt in den Köpfen von Unternehmer:innen und Beschäftigten. Sie müssen bereit sein, sich konzeptionell zu erneuern.
Es braucht eine Unternehmenskultur, in der nicht alles über Bord geworfen, aber alles hinterfragt, in der nicht alles neu, aber vieles besser gemacht wird.
Textilunternehmen müssen beginnen, ihre Entwicklungsprozesse konsequent auf Circular Economy umzustellen. Es gilt, für bestehende wie neue Produkte systematisch – also von der Materialauswahl bis zur Konfektion – zu prüfen, wie Lebenszyklen verlängert und die Kreislaufführung von Produkten möglich wird. Diese Form der Produktentwicklung wird auch als „Design for Recycling“ bezeichnet. Tatsächlich erfordert es die Komplexität der Textil- und Bekleidungsindustrie jedoch, diese bisherige Perspektive zu erweitern und auf ein Design-for-ReX umzustellen.
Neben dem Recycling werden dabei auch Produktentwicklungskonzepte mitgedacht, die eine Reduzierung (reduce) von Material, die Wiederverwendung von Produkten (reuse), die Reparatur (repair) sowie die Wiederaufbereitung (remanufacture/refurbish) mitdenken. Dabei steht Design-for-ReX nicht für sich, sondern muss inkrementeller Bestandteil einer strategischen Weiterentwicklung des Geschäftsmodells sein.
Am Ende wird die Transformation zu geschlossenen Kreisläufen nur realisiert, wenn Geld nicht primär durch die Menge der verkauften Waren verdient wird.
Unternehmen müssen die Umstellung auf Qualitätswaren, Product-as-a-Service, Reuse- und Rebranding-Strategien prüfen und umsetzen, wo immer es möglich ist. Bereits bis Mitte der 2020er Jahre müssen neue, skalierungsfähige Geschäftsmodelle entwickelt und erprobt werden. Dies ist wichtig, damit diese neuen Geschäftsfelder bis Ende der 2030 Jahre zum neuen Kerngeschäft der Unternehmen werden können.
Dabei müssen Unternehmen in der Transformation strategische Allianzen entwickeln. Gemeinsam mit anderen Unternehmen der eigenen Wertschöpfungskette und darüber hinaus kann es lohnend sein, frühzeitig Kooperationsinitiativen auszuloten. In solchen Formaten lassen sich unter den richtigen Rahmenbedingungen z. B. regionale Recycling-Hubs aufbauen.
Gestaltungswillen politischer Entscheider:innen
Vor allem die europäische Politik setzt bereits wirksame Anreize für die Umstellung auf nachhaltige Prozesse in der Industrie. Jetzt gilt es, bestehende Regulierung weiterzuentwickeln und gezielte Förderinstrumente zu schaffen. Entscheidend ist, Regulierung als Enabler für Transformation zu nutzen.
Damit Regulierungsregime wie die REACH-Verordnung die Umwelt langfristig schützen und dem Textilökosystem den Übergang in eine Circular Economy ermöglichen können – wie es die EU-Textilstrategie explizit formuliert –, sind langfristig verbindliche Orientierungslinien nötig. Und dazu bedarf es langfristig verbindlicher Regulierungsroadmaps. Teil solcher Roadmaps muss die europaweite Standardisierung von Sammel- und Sortiersystemen sein. Spätestens ab 2025 müssen solche Standards etabliert sein. Nur so gelingt die Realisation eines funktionierenden Ökosystems für die Circular Economy. Dafür muss bei der Gestaltung von Regulierungsregimen von Beginn an international gedacht werden. Deshalb sollten – in Zusammenarbeit mit anderen Wirtschaftsräumen, z. B. den USA, – gemeinsame, globale Anforderungen insbesondere für die Nachverfolgbarkeit von Lieferketten etabliert, formuliert und durchgesetzt werden.
Weil Circular Economy nur branchenübergreifend und in einem breiten Ökosystem funktioniert, ist auf Bundes- und EU-Ebene die Förderung branchenübergreifender Ansätze von Circular Economy zwingend. Dabei können die Textil- und Bekleidungsindustrie und andere Branchen besonders vom Aufbau von B2B-Plattformen für Circular Economy profitieren. Zwar zeichnet sich schon in den kommenden Jahren eine erhebliche Dynamik bei der Entwicklung von Plattformen zur Allokation z. B. von Abfällen und Recyclingkapazitäten ab; doch müssen entsprechende Marktplätze und Koordinationsinstanzen deutlich schneller zur Verfügung stehen als bislang absehbar. Daher müssen entsprechende Geschäftsmodelle und Initiativen gezielt unterstützt werden.
Um wirtschaftliche Barrieren gerade für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) zu reduzieren, müssen Anreizmechanismen für die Textil- und Bekleidungsindustrie etabliert werden, die speziell auf die Anforderungen der textilen Wertschöpfungskette abgestimmt sind.
Dazu zählt vor allem ein Preisanreiz zur Verwendung von Sekundärrohstoffen. Sobald für wichtige Bereiche der Textil- und Bekleidungsindustrie geeignete Sekundärrohstoffe verfügbar sind, müssen Virgins (unbenutztes Rohmaterial, das noch nie einer anderen Verarbeitung als der zu seiner Herstellung unterzogen wurde) gezielt verteuert werden. So wird die Wettbewerbsfähigkeit von Sekundärrohstoffen erhöht und deren Adaption wirtschaftlich ermöglicht.
Zur Studie
Was Unternehmen, Verbände, Wissenschaft und Politik darüber hinaus tun können, um die Transformation der Textil- und Bekleidungsindustrie zu gestalten, zeigt die Studie „Kreislaufwirtschaft – Textile Kreisläufe schaffen, Zukunft gestalten“.
539 mal gelesen
Kommentare