Vorab: Wir hatten ja in einem der vorherigen Beiträge auf unserem Blog angekündigt, dass wir das Thema „Zukunft der Arbeit“ weiterentwickeln wollen. Die Digitalisierung der Arbeit kann aus unserer Sicht auf Dauer nicht von Fragen der Nachhaltigkeit auf individueller und betrieblicher Ebene getrennt werden. Der folgende Text ist der erste Beitrag, der diese Weiterentwicklung konkret aufgreift.

Der europäische Green Deal – und die Finanzierung nachhaltiger Business-Transformation – kann und wird nur mit einer massiven Mobilisierung privaten Kapitals gelingen. Während unser Wissen über die Auswirkungen von Klima- und Umweltrisiken auf Volkswirtschaften und Finanzsysteme zunimmt, sind diese Risiken im Finanzsystem allerdings längst noch nicht hinreichend transparent und werden nicht hinreichend gesteuert. Viele Unternehmen und Finanzmarktteilnehmer konzentrieren sich immer noch unverhältnismäßig stark auf die kurzfristige finanzielle Leistung anstelle der langfristigen Entwicklung von Unternehmen, einschließlich nachhaltigkeitsbezogener Risiken und Chancen. Genau diese Punkte adressiert die EU-Kommission auch mit ihrer erneuerten Sustainable Finance Strategie. Zu Recht.

Doch wie lässt sich privates Kapital für nachhaltige Business-Transformation mobilisieren, wie eine Langfristperspektive für die Messung wirtschaftlicher Performance in den Märkten verankern? Klar ist: Der Kern der Blockaden liegt nicht in fehlenden Narrativen und Metriken. Er findet sich in der Sprache, in der über wirtschaftlichen Erfolg berichtet wird: Der Rechnungslegung selbst. Ohne diese „Sprachfehler“ zu korrigieren, kann und wird nachhaltige Business-Transformation und ihre Finanzierung nicht gelingen.

Die Mängel bestehender Rechnungslegungssysteme – ob IFRS oder nationale GAAP – im Hinblick auf die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen und nachhaltiger Business-Transformation sind:

Keine Transparenz über nachhaltigkeitsbezogene Risiken und Chancen („Paris-Alignment“)

Gegenwärtig besteht keine Transparenz darüber, ob ein Unternehmen seinen Jahresabschlussangaben das Erreichen der Ziele des Pariser Klimaabkommens als Ausgangspunkt der Bewertung zugrunde gelegt hat. Nur mit einer solchen Angabe kann jedoch Transparenz über die grundlegende Business- und Nachhaltigkeits-Strategie gewonnen werden und Transparenz über mögliche – gegenwärtige oder künftige – Überbewertungen hergestellt werden.

Ein Unternehmen, das bspw. Lieferant der Petrochemie ist, baut – sofern nicht eine Transformation geplant wird – sein langfristiges Business-Modell darauf auf, dass die Paris-Ziele mangels politischer Umsetzung und hinreichendem gesellschaftlichen Druck nicht eingehalten werden. Gilt die Prämisse des Pariser Klimaabkommens jedoch, bedeutet das, dass das Unternehmen – und seine Investoren – langfristige Risiken und ggf. hohe Überbewertungsrisiken in Kauf nehmen, die in der Rechnungslegung verdeckt werden (“Carbon-Bubble“).

Jahresabschlüsse, die u.a. wesentliche Klimarisiken nicht berücksichtigen, führen zu Fehlinformationen von Führungskräften, Aktionären und Banken und damit zu fehlgeleitetem Kapital. Die Folgen von fehlgeleitetem Kapital sind nicht nur schädlich für Aktionäre und Banken, sondern potentiell auch katastrophal für unserre Lebensgrundlagen. Investorengruppen verlangen daher z.T. mittlerweile ausdrücklich, dass Vorstände und Wirtschaftsprüfer eine am Pariser Abkommen ausgerichtete Rechnungslegung vorlegen und prüfen – also Berichte, die die Auswirkungen einer Netto-Null-Emission bis 2050 auf Vermögenswerte, Verbindlichkeiten, Gewinne und Verluste widerspiegeln (so etwa IIGCC). Nur so haben Management, Investoren und Gläubiger die Informationen, die sie benötigen, um Kapital in einer Weise einzusetzen, die mit dem Pariser Abkommen vereinbar ist.

Allerdings müssen wir – weitergehend – auch offen diskutieren, ab welchem Zeitpunkt Unternehmen – gerade in Deutschland und der Europäischen Union – ihren Jahresabschlussdaten die Geltung des Pariser Klimaabkommen als Prämisse zugrunde legen müssen.

Die bestehende Unklarheit hierüber – und das Schweigen hierüber – ermöglicht ein Verstecken von langfristigen Business-Risiken und Stranded Assets mit der Gefahr des Entstehens einer gigantischen Carbon-Bubble, gerade nachdem Unternehmen und Finanzmärkte erst die derzeitige Corona-Krise überwunden haben. Das ist gefährlich.

Einer der wesentlichen Gründe für das Entstehen und den Verlauf der Finanzkrise 2007 war Intransparenz an den Kapitalmärkten. Bilanziell und außerbilanziell bestand keine Transparenz mehr über Verlustrisiken und die Verflechtung von Kapitalmarktteilnehmern – und verbrieften Produkten – mit den entsprechenden Dominoeffekten. Eine solche Intransparenz baut sich heute hinsichtlich Stranded Assets auf: Ihr geschätztes Ausmaß, ihr Abschreibungsbedarf und die Auswirkungen auf Finanzmarktteilnehmer sind unbekannt. Das liegt auch daran, dass Jahresabschlussdaten unter geltendem Szenario des Pariser Klimaabkommens noch nicht einmal als ergänzende Pflichtangabe offen zu legen sind.

Keine Kostenwahrheit („Externalitäten“)

Ausgelagerte Kosten wie Werte wirtschaftlicher Tätigkeit (Externalitäten) werden bislang nicht in die Rechnungslegung integriert. Es besteht daher kein „Level Playing Field“ hinsichtlich der Abbildung wirtschaftlicher Performance; Unternehmen, die mit hohem ökologischem und sozialem Fußabdruck wirtschaften, werden bilanziell „belohnt“, während verantwortungsvolles Wirtschaften bilanziell relativ bestraft wird.

Solange es keine systematische, rechnungslegungsbasierte, prüfbare Bewertung von Externalitäten als „True Cost“ auf Produktebene gibt – und dies ggü. Kunden/Verbrauchern offengelegt wird – ist nachhaltiger Einkauf und gesunder, nachhaltiger Konsum ein Blindflug.

Fehlt eine systematische, rechnungslegungsbasierte, prüfbare Bewertung von Externalitäten, ist auch keine adäquate Ausgestaltung variabler Managervergütungen möglich. In Deutschland regelt § 87 I 2 AktG für börsennotierte Gesellschaften, dass die Vergütungsstruktur auf eine nachhaltige und langfristige Entwicklung der Aktiengesellschaft auszurichten ist. Variable Vergütungsbestandteile sollen daher eine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben. Da Vorstandsverträge typischerweise für drei bis maximal fünf Jahre abgeschlossen werden, kann das Erreichen von Nachhaltigkeitszielen und eine langfristige Stärkung des Shareholder Value effektiv nur bilanziell – also durch True Cost Accounting – nachgewiesen werden.

Keine Vermögenstransparenz („Transformationsvermögen“)

Die Transformationsphase von Unternehmen ist eine Investitionsphase. Bilanziell wird sie allerdings regelmäßig als Wertvernichtung und nicht als erfolgsneutrale Vermögensumschichtung abgebildet. Hintergrund dafür ist, dass das Erreichen von Nachhaltigkeitszielen typischerweise eine komplexe Reorganisation des Unternehmens erfordert und beratungs- und schulungsintensiv ist. Aufwendungen können daher gerade zu Transformations-Beginn häufig nicht einzelnen aktivierungsfähigen Vermögensgegenständen zugeordnet werden und landen als Aufwand in der Gewinn- und Verlustrechnung.

Rating-relevante Kennzahlen wie EBIT und ROI verschlechtern sich. Bankenkredite verteuern sich oder werden gar nicht erst gewährt, denn die Bank muss selbst höhere Eigenmittel für diese Kredite hinterlegen. Selbst wenn daher Wirtschaftsaktivitäten eindeutig als „Taxonomie-aligned“ anerkannt werden können, wird eine externe Finanzierung nachhaltiger Business-Transformation, insbesondere über Fremdkapital, schwerfallen.

Aus politischer Perspektive folgt daraus:

Nur über Transparenz zu Jahresabschlussdaten, denen die Geltung des Pariser Kliamabkommens zugrunde gelegt wurde, ließe sich europaweit überprüfen, inwieweit die Wirtschaft die Ziele des europäischen Green Deals ernsthaft – und nicht nur mit Ankündigungen „auf morgen, irgendwann 2050“ – unterstützt oder aber weiter wirtschaftet wie bisher. Dann würde der Green Deal scheitern. Es häufen sich bspw. Versprechen von Unternehmen, „klimaneutral“ zu werden. Doch wie wahr sind diese Versprechen?

Nur wenn ein Unternehmen (auch) ein „Paris-aligned-Accounting“ veröffentlicht, und sich damit auch den möglichen Wertverlusten im Transformationsprozess stellt, können die Klima-Versprechen der Wirtschaft zweifelsfrei überzeigen. Paris-aligned-Accounting ist der Risikogradmesser des Green Deal.

Im traditionellen Accounting wird außerdem keine separate buchhalterische Erfassung der Vermögensentwicklung aus der Business-Transformation vorgenommen, es fehlen Informationen zu geplanten und tatsächlichen Investitionen in die Transformation in Übereinstimmung mit dem Green Deal, der Taxonomie und speziell auch dem EU-Klimagesetz. Solche Informationen können nur bilanziell – vermögensmäßig, nahtlos im Zeitablauf – abgebildet werden. Ein True Cost Accounting, das diese Werte beinhaltet, ermöglicht erst europaweite Transparenz über die Entwicklung von Green-Deal Investitionen (Plan & Ist).

Kurz: Wir brauchen ein neues, ergänzendes Accounting für den Green Deal!

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