Die DB Systel, der ICT Dienstleister der Deutschen Bahn, erfindet sich gerade neu. Die Firma, die mit Ihrem Innovationslabor „Skydeck“ schon über die Grenzen des Bahnkonzerns hinaus bekannt wurde, hat vor zwei Jahren einen Prozess eingeleitet, der radikaler nicht sein könnte: die Transformation des Unternehmens in eine selbstorganisierte und hierarchiearme Organisation.
Das Jahr 2014 war für die DB Systel ein Schock. Bei der ersten großen Digitalisierungsoffensive des Bahnkonzerns mit allen Tochterfirmen wurde die DB Systel nicht eingebunden. Man traute dem (bis dahin) reinen IT-Service Provider der Bahn nicht zu, Kompetenzen im Bereich Digitalisierung zu haben. Da das für die Systelaner nicht ihrem eigenen Anspruch gerecht wurde, entschloss man sich ganz neue Wege zu gehen.
Als Ergebnis eines Strategieworkshops im März 2015 wurden Initiativen unter dem Namen „Code Zukunft“ eingerichtet, von denen einige die Fragestellung „Wie können wir den wachsenden Anforderungen von morgen besser begegnen?“ bearbeiteten.
Neu war: Jeder konnte sich einbringen und mitgestalten – d.h. man konnte sich als Mitarbeiter beteiligen, unabhängig von Fachbereich oder Hierarchiestufe. In der Initiative „Mitarbeiter, Führung & Kultur“ wuchs schließlich die Erkenntnis, dass eine neue Form der Zusammenarbeit nötig war, um die künftigen Herausforderungen im Zuge der Digitalisierung zu meistern. Inspiriert von Methoden wie „Management 3.0“ oder „Holokratie“, kamen immer wieder die Begriffe „Vernetzung“, „Wertschaffungskette“ oder „Selbstorganisation“ auf. Oder kurz: Die agile, selbstorganisierte und vernetzte Arbeitswelt.
„Code Zukunft“ markierte für das Unternehmen einen Wendepunkt: Parallel zur Linie wird eine Netzwerkstruktur aufgebaut und kann sich etablieren, die ganz auf Freiwilligkeit setzt. Die Ideen und ihre Umsetzung erfolgten von den Teammitgliedern selbst.
Was aus den Initiativen kam (Bottom-up) und auch von der Geschäftsleitung (Top-down) bestätigt und vorangetrieben wurde, ist radikal: die DB Systel schafft die klassische Pyramide und die damit verbundene Linienführung ab. Man teilt die disziplinarische Führungsrolle in drei Rollen bzw. Verantwortungsbereiche auf und ebnet so den Weg für eine hierarchiefreie, selbstorganisierte und vernetzte Arbeitswelt.
DIE DB SYSTEL IN DER TRANSFORMATION
Zwei Jahre nach Beginn von „Code Zukunft“ befindet sich die DB Systel bereits mit den ersten 70 Teams (insbesondere im Bereich Kundenschnittstellen und neue Geschäftsfelder wie z.B. Cloud) in dem Prozess der Transformation in die Neue Arbeitswelt und bis Ende 2018 sollen mehr als die Hälfte der 3.600 Mitarbeiter in selbstorganisierten Teams arbeiten.
Die eigentliche Transformation findet in drei Phasen statt, in der sich das Team neu orientiert und in einer völlig neuen Aufteilung der Rollen, Verantwortungsbereiche und Arbeitsweise unterwegs ist: die Verantwortung der bisherigen Führungskraft wird auf alle drei Rollen aufgeteilt. Die Teams können agil arbeiten (z.B. mit Sprints, Reviews und Retros angelehnt an SCRUM), müssen es aber nicht.
Die Phasen der Transformation der DB Systel:
CC BY 4.0Phase 1: Vorbereitung
In dieser Phase steht die Teamfindung und das Kennenlernen agilen Methoden und Prinzipien im Fokus. Dabei wird das Team durch eine Agile Führungskraft (AFK) unterstützt. Sie ist – während der ersten beiden Phasen der Transformation – der erste Ansprechpartner für das Team. Damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich in den agilen Methoden ausprobieren können und lernen, vom „Push-“ ins „Pull-Prinzip“ umzuschalten, bietet die Agile Führungskraft einen Schutzraum und räumt auch Hindernisse aus dem Weg.
- Quality Check: „Definition of Ready for Transformation“
Bei dieser Überprüfung wird zusammen mit dem zentralen Transformationsteam beleuchtet, dass sowohl das Umsetzungsteam, als auch die Agile Führungskraft wissen, was auf sie zukommt. Darüber hinaus müssen ein paar Rahmenbedingungen geklärt sein. Zum Beispiel sollten „Altlasten“ aus anderen Projekten abgegeben worden sein, um sich voll auf die Aufgaben im neuen Umsetzungsteam fokussieren zu können.
Phase 2: Switch
In dieser zweiten Phase strukturiert sich das Team nach dem Zielbild: „Selbstorganisierte, agile Arbeitswelt – schneller auf Kundenbedürfnisse und Änderungen am Markt reagieren zu können“.
Dabei wird das Team zusätzlich von einem Agility Instructor (AI) unterstützt, der das Team in agilen Methoden unterrichtet und Hilfestellung in der Selbstorganisation gibt. Im weiteren Verlauf der Phase wählt das Team einen Agility Master aus ihren eigenen Reihen. Ein Product Owner wird von dem Team vorgeschlagen, muss dann aber „Top down“ bestätigt werden.
- Quality Check: „Definition of Done Transformation“
Bei dieser Überprüfung geht es darum zu schauen, ob das Team tatsächlich in der selbstorganisierten Arbeitswelt angekommen ist. Von den rein formalen Vorgaben, wie AM und PO, kommt es wirklich auf die Zusammenarbeit „als Team“ an. In verschiedenen Gesprächen und durch die Begleitung des Teams durch AI und AFK wird sichergestellt, dass hier den Teams optimale Startbedingungen mitgegeben werden.
Phase 3: Neue Arbeitswelt
Hier lebt das Team in den neuen Rollen entsprechend der definierten Rahmenbedingungen. Ändern sich diese Rahmenbedingungen, muss das Team selbst entsprechende Anpassungen vornehmen. Das zentrale Transformationsteam steht den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch weiterhin zur Verfügung und stellt auch den Austausch sicher, so dass weitere Teams von den Erfahrungen profitieren können.
Die (neuen) Rollen der DB Systel:
Während der Transformation werden die Teams von der/den aktuellen Führungskräften (AFK) und einem „Agility Instructor“ (AI) begleitet.
Ab Phase zwei übernehmen folgende Rollen Verantwortung:
- AM: Der Agility Master ist für die zielgerichtete Entfaltung von Selbstorganisation und die dafür nötige Ermächtigung der Umsetzungsteams verantwortlich. Er räumt Hindernisse aus dem Weg und moderiert alle Teamveranstaltungen.
- PO: Der Product Owner sammelt die Anforderungen des Kunden und priorisiert sie. Er ist bevollmächtigt, inhaltliche Entscheidungen in Bezug auf die Leistung und ihre Merkmale zu treffen),
- UT: Das Umsetzungsteam ist für die Umsetzung zuständig, also die Lieferung der Leistung. Es plant den Sprint anhand der priorisierten Anforderungen und verantwortet die Zielerreichung.
Diese neue Art der Zusammenarbeit bringt einiges an Veränderungen mit sich und stellt die Mitarbeiter vor alte und neue Herausforderungen. Auch bestehende Teams durchlaufen durch die veränderten Rahmenbedingungen wieder von neuem die Teambildungsphasen (Forming, Storming, etc), aber es werden auch Teams komplett neu zusammengestellt, um die gestellten Businessanforderungen meistern zu können.
Allen Teams ist gemein, dass sie die völlig neue und selbstbestimmte Art der Zusammenarbeit und Verantwortung erlernen müssen. Durch das Fehlen einer direktiven Führungskraft sortieren sich Teamstrukturen neu. Dadurch verändern sich vor allem die Feedback- und die Konfliktkultur innerhalb der Teams. Die bisherigen Führungskräfte müssen sich umorientieren und ggf. in einer der neuen Rollen geschult werden.
ZURÜCK AUF LOS FÜR HUMAN RESSOURCES
Viele Werkzeuge oder Methoden der klassischen Personalarbeit funktionieren in der selbstorganisierten Arbeitswelt nicht mehr oder nur noch eingeschränkt. Werte und Haltung (z.B. „Arbeiten auf Augenhöhe“) sind ein wesentlicher Erfolgsfaktor der Transformation und erfordern dadurch ebenfalls völlig neue Personalinstrumente, wie z.B. Neue Auswahlprozesse, Art und Durchführung der Mitarbeitergespräche oder Konfliktlösungsstrategien.
Dr. Klaus Rüffler, der Geschäftsführer der DB Systel für den Bereich Personal ist sich der Herausforderungen bewusst: „Wir müssen neue Bewertungslogiken und Karriereregeln für die Neue Arbeitswelt entwickeln und dabei sicherstellen, dass sie in das Konzerngefüge der Deutschen Bahn passen. Für die Rollen in der Neuen Arbeitswelt muss Ausbildung und Qualifizierung end-to-end konzipiert, aufgesetzt und verwaltet werden.“
Eine weitere Herausforderung für die HR-Bereiche ist es, die vernetzten Systeme zu überblicken und die gestiegene Komplexität durch die Dreiteilung der Führungsrolle (bisher: „ein Kunde“, die Führungskraft) zu leben. Dadurch ist eine höhere Beratungs- und Coachingkompetenz bei HR-Partnern gefordert, z.B. für Neuorientierung der Mitarbeiter, verändertes Feedback-und Konfliktmanagement oder Ausbildung und Qualifizierung. Hier kommt den HR-Mitarbeitern hohe Verantwortung zu, denn es gibt auch Unsicherheiten der Kolleginnen und Kollegen bezüglich der rechtlichen (Zukunfts-)Sicherheit.
DEN BETRIEBSRAT INS BOOT HOLEN
Gerade bei den rechtlichen Rahmenbedingungen ist es wichtig, zusammen mit dem Betriebsrat – analog zu den Abstimmungen im Konzern – an einem gemeinsamen Verständnis für die Neue Arbeitswelt zu arbeiten, denn solch eine neue Arbeitsweise ist (bei flächendeckender Einführung) eine Änderung nach § 111 Absatz 5 BetrVG. Hierbei ist eine enge Einbindung des Betriebsrats, bereits in der Konzeptionsphase und nicht nur am Ende im Zuge der Beschlussfassung, ein entscheidender Erfolgsfaktor. Durch die transparente und offene Mitarbeit der Betriebsratsmitglieder an den Instrumenten ist eine einmalige Atmosphäre entstanden, die letztendlich in einer „Gesamtbetriebsratsvereinbarung (GBV) Transformation“ und in einer klaren Übereinkunft zum gemeinsamen Lernen und Ausprobieren auf dem Weg in die Neue Arbeitswelt, mündete.
Dr. Rüffler zur „GBV Transformation“: „Eine solche Übereinkunft mit der Mitbestimmung sucht seinesgleichen. Der Betriebsrat könnte von Beginn an alle Maßnahmen rechtlich unterbinden und einfordern, dass ein gesamthafter Plan vorgestellt und mitbestimmt wird. Das hätte zum Stillstand geführt. Insofern ist der große Schritt, dass wir die Mitbestimmung einladen zur Mitgestaltung und die sogenannten „harten“ Mitbestimmungsrechte (Versetzung, etc.) an den Schluss stellen.“
UND SONST?
Für die Personalabteilung bedeutet die Ausgestaltung der Transformation eine starke Mitarbeit in interdisziplinären Projekten neben dem klassischen Personalgeschäft. Dadurch werden tendenziell mehr Generalisten im HR-Bereich benötigt, die ein gewisses Maß an Experten Know-How haben.
„An sich wäre die Transformation schon Herausforderung genug!“ so Dr. Rüffler, „Aber das alles passiert begleitend zu der rasanten digitalen Weiterentwicklung unseres Geschäfts u.a. durch eine grundlegende Veränderung unseres Business Models zum Beispiel durch den Verkauf unseres Rechenzentrums, dem verstärkten Anbieten von integrierten Lösungen oder der Umsetzung der Konzernstrategie „Cloud.“
Der Veränderungsprozess der DB Systel weckt nicht nur im Konzern sondern auch extern großes Interesse. So ist die DB Systel Anlaufstelle für viele Unternehmen aus Deutschland geworden, um etwas über die Selbstorganisation in der Praxis zu lernen. Zum Beispiel fand Ende Mai zum zweiten Mal im Frankfurter Silberturm eine „HR Agile Safari“ statt, bei der HR-Vertreter des Konzerns Konzerngesellschaften, aber auch Firmen wie Bosch und Telekom zu Gast waren.
Weitere Informationen:
- Homepage der DB Systel: http://www.dbsystel.de/
- Interview mit der Leiterin der Geschäftsführung Christa Koenen: https://it-gipfelblog.hpi-web.de/interview_post/db-systel-der-neue-digitale-innovationstreiber-christa-koenen-im-interview/
Brandbook “Der Systelaner” http://www.dbsystel.de/dbsystel/start/unternehmen/unternehmenskultur.html
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Liebe Lisa Reuter,
danke für die sehr interessanten Einblicke in die aktuelle Entwicklung; da wir -Beratungshaus SolidarConsult- uns besonders mit der Frage der Beteiligungsmöglichkeiten der Mitarbeitenden in digitalen Transformationsprozessen beschäftigen, bin ich sehr interessant an Beispielen der Entscheidungsfindung und dem Grad der Beteiligung an Entscheidungen durch die Mitarbeitenden.
Viele Grüße, Julitta Münch
Bin besonders an der betrieblichen Transformation interessiert
Liebe Lisa
herzlichen Dank für die umfassende Einsicht in eure Transformation. Eine ähnliche hat vor einiger Zeit auch in der IT der SBB hier in der Schweiz begonnen.
Und damit habt ihr in jedem Fall einen grossen Schritt gemacht und auch etwas gewagt.
Was mich aus meinen eigenen Erfahrungen mit der agilen Szene bewegt sind Fragen, die etwas tiefer gehen und mit denen ich euch möglicherweise auch schon beschäftigt habt.
– Wie werden in den Teams oder allgemein Entscheidungen getroffen?
– Wie stark sind die Mitarbeiter an der Weiterentwicklung der Organisation beteiligt?
– Und ein Thema, dass Du bereits erwähnt hast: Konflikte. Setzt ihr darauf, eure Mitarbeiter mehr und mehr selbstbefähigt Spannungen und auch Konflikte lösen können?
Danke im Fall bereits im Voraus und herzliche Grüsse aus Zürich
Ralf
Lieber Ralf,
vielen Dank für Dein Interesse an der Transformation der DB Systel.
Gerne nehme ich auch an dieser Stelle nochmal Bezug auf Deine Fragen.
Zu Deiner Frage der Entscheidungen. Entscheidungen innerhalb der Teams: Das „Was“ getan werden muss entscheidet der Product Owner eines Teams. Er füllt das Product Backlog und priorisiert es. Das „Wie“ die Aufgaben bearbeitet werden, wird selbstorganisiert in den Teams entschieden. Unterstützung erhalten Sie dabei durch den Agility Master des Teams.
Entscheidungen allgemein: Das ist für uns auch noch ein großes und auch komplexes Lernfeld. Bei allgemeinen Entscheidungen geht es ja u.a. auch um so etwas wie Governance Fragen. Hier entwickeln wir gerade Ideen, wie u.a. mit Gilden die notwendigen Rahmen geschaffen werden können. Wie eine Unternehmensentwicklung und auch eine Geschäftsentwicklung agil arbeiten und sich einbringen können, ist ein weiteres Feld, in dem wir gerade erste Erfahrungen sammeln.
Zu Deiner Frage der Gestaltung der organisatorischen Entwicklung. Wie stark Mitarbeiter in der Weiterentwicklung der Organisation beteiligt sind, hängt von ihren Aufgaben und Rollen ab und auf welchen Aggregationsebenen sie sich bewegen. Aktuell gewinnen wir mit und durch die ersten Teams täglich neue Erfahrungen, die mit in die weitere Ausgestaltung der agilen Organisationsentwicklung einfließen. Hier entwickeln wir iterativ Design Prinzipien für unsere Organisation.
Insbesondere zu Beginn und im Zuge der Entwicklung eines Teams erhalten die Teams, wie im Blogbeitrag erwähnt, intensive Unterstützung durch eine agile Führungskraft sowie einen Agility Instructor. Diese helfen insbesondere in der Anfangsphase dabei Hindernisse, z.B. mögliche Konflikte, aus dem Weg zu räumen.
Grundsätzlich wird versucht Konflikte zunächst in den Teams mit Unterstützung des AMs im Team selbst zu lösen. Eine entsprechende Befähigung des Teams sowie des AMs ist vorgesehen. Sollte keine Lösung im Team erzielt werden, besteht die Möglichkeit einen neutralen Coach hinzuzuziehen. Einen entsprechenden Coachpool mit befähigten Trainern hat sich bereits etabliert. Zudem sind wir gerade dabei ein qualifiziertes, betriebliches Konfliktmanagement aufzubauen.
Solltest du noch Fragen oder Interesse an einem weiteren Austausch haben freuen sich mein Kollege Tobias Dietz und ich uns gerne über Deine Kontaktaufnahme.
Viele Grüße
Lisa Reuter
Hallo Ralf,
Vielen Dank für Deinen Kommentar. Wir werden mit unseren Kolleginnen und Kollegen die Fragen durchgehen und melden uns so schnell wie möglich hier zurück.
Viele Grüße aus Frankfurt,
Ingo
Hi Ralf,
bei der DB Systel unterstütze ich im Transformationsteam den Weg der Teams und des Unternehmens in die Arbeitswelt. Ich kontaktiere dich mal auf XING – dann können wir uns gerne austauschen 🙂
Schönen Gruß aus Frankfurt,
Tobias