Karriereorientierung ist eine echte Herausforderung in einer Zeit, in der sich Berufe durch die Digitalisierung rasant verändern (vom Grafiker zum Webdesigner, vom Kfz-Mechaniker zum Mechatroniker) oder sogar komplett verschwinden. So stehen Menschen dadurch vor der Frage, wie sie ihre langjährige Erfahrung in Berufsfelder einbringen können, die sie immer weniger kennen. Andere stehen vor dem Problem, dass jährlich neue Berufe entstehen (Community Manager in der Gamer-Branche), für die kaum Erfahrungswerte vorhanden sind.
Wer für sich in dieser hochindividualisierten und schnell sich wandelnden Welt der neuen Arbeit ein erfülltes Berufsleben finden will, der muss Schritt halten, bereit sein für Veränderungen und die Intervalle dazu werden immer kürzer. Ich möchte hier von einer Entwicklung sprechen, die ich mit dem Begriff der fluiden Karriere betitele.
Keine Nachvollziehbarkeit
Das Tragische ist: Die Organisationen selbst verstehen diese Entwicklung nur sehr unzureichend bis gar nicht. Denn unablässig fordern Arbeitgeber Qualifikationen, sind aber weniger bereit, den Grad an Motivation oder Leidenschaft, den Bewerber mitbringen, wirklich anzuerkennen oder das Risiko einzugehen, es mit Quereinsteigern zu versuchen. Stattdessen werden Stellenbeschreibungen so vollgepackt mit erforderlichen Superkräften und fast unerreichbaren Koinzidenzen aneinandergereihter Erfolgsmomente, dass man den üblichen Bewerbungsprozess im Grunde als eine einzige Märchenstunde begreifen kann. Gleichzeitig wird weiterhin fleißig der Fachkräftemangel postuliert und beklagt.
Klar, wer Arzt sein will, braucht eine Approbation und ein Anwalt braucht sein Staatsexamen. Aber was eigentlich zählt, wird meist nicht gesagt: Die Motivation, sich einer Herausforderung zu stellen, sich einzuarbeiten und zwar in einem Alter, in dem die letzte Schulstunde oder Vorlesung weit zurückliegt. Das ist wichtiger als irgendein Papier.
Wer sich auf den Weg der fluiden Karriere macht, hat eine gewisse Reife erlangt. Das bedeutet, sich seiner selbst und seiner Fähigkeiten bewusst zu sein. Es ist die klare Gewissheit von dem, was man auf professioneller Ebene leisten kann und für wen und für was man bereit ist, diese Fähigkeiten einzusetzen. Ja, das kann durchaus ideologisch werden: „Bin ich bereit, für dieses Unternehmen zu arbeiten?“ oder „Möchte ich mit diesen Kollegen mehr Zeit verbringen als mit meiner Familie?“ Das sind nur ein paar der kritischen Fragen, die gestellt werden müssen, wenn es um die Entwicklung der fluiden Karriere geht.
Klares Verständnis der eigenen Fähigkeiten
Wenn es gelingt, die eigenen Fähigkeiten und deren Wirkung auf die Mitmenschen, speziell Kollegen, Vorgesetzte und Kunden, zu erkennen, dann ist sehr viel gewonnen. Dabei ist nicht zwingend ein besonders stark ausgeprägtes Talent in einem Bereich nötig, sondern eher ein klares Verständnis für die eigenen Fähigkeiten und wie man diese am besten einsetzt. Es geht um das Selbstbewusstsein durch Bestätigung, das aus einem Selbstwirksamkeitsgefühl entsteht.
Man könnte auch sagen, man lernt seine Werkzeugkiste kennen und macht sich mit den eigenen Fähigkeiten und Unfähigkeiten durch viel Üben und Austesten vertraut. Dazu ist mehr erforderlich als den Umgang mit einem Werkzeug zu erlernen, nämlich auch die kritische Betrachtung des Grades der eigenen Fähigkeiten. Oftmals ist man sich dessen, was einem selbst leicht fällt, was man wirklich kann, gar nicht mehr bewusst.
Das Wissen um die eigenen Fähigkeiten gibt also auch immer ein gutes Stück weit die Richtung vor. Hat man diese Richtung gefunden, steigt auch die Motivation. Genauer gesagt bedingt das Wissen um die eigenen Fähigkeiten überhaupt, dass man motiviert sein Tagewerk beginnen kann.
Wenn man seine Motivation aus dem Wissen zieht, dass das, was man tut, den eigenen Fähigkeiten entspricht und umgekehrt, entsteht etwas von dem, was für Personalentwickler der Heilige Gral ist: intrinsische Motivation. Nichts motiviert mehr als die Sicherheit und die Bestätigung der eigenen Person. Und das Gefühl, eine Wirkung zu erzielen, die eingebettet ist in den Arbeitskontext den man selbst gewählt hat, das ist die Freiheit der fluiden Karriere und ein wesentliches Merkmal des Arbeitsplatzes der Zukunft.
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Sehr interessante Diskussion mit spannenden Fragen! Für mich bleibt aber noch eine Frage offen: Über welche Mitarbeiter reden wir am Ende bei einer fluiden Karriere? Ist es vielleicht doch nur eine „Elite“, die in den Genuss solcher Modelle und Maßnahmen kommt? Was ist mit denjenigen, die beim technologischen Wandel nicht mithalten können? Unternehmen haben da sicherlich eine Verantwortung – gleichzeitig aber auch die Mitarbeiter im Hinblick auf die eigene Beschäftigungsfähigkeit. Und zum Thema: Querdenker! Für viele Kollegen und Führungskräfte im Unternehmen sind sie entgegen vieler anders propagierter Verlautbarungen und Leitbilder doch am Ende unbequem – siehe auch Blog unter http://www.creating-corporate-cultures.org ! Dann werden sie kaltgestellt, isoliert etc. Also braucht es am Ende doch eine ganz andere Unternehmenskultur – vielleicht sogar mit einem Mehr an Führung … aber eben dann eine andere Führung.
Gute Frage, und wieder auch nicht – denn fluide sind wir bald alle. Der Lagerarbeiter weil es endlich gelingen wird einen Roboarm zu entwickeln der seine Tätigkeit vollends automatisiert und das komplette mittlere Management, was außer Meeting-Herumsitzerei, Firmenpolitik und Zielerreichungsrechtfertigungs-Slides-Anpassung nichts mehr kann. Es geht eben nicht um eine Elite, sondern um die Frage welche Orientierung ganzheitlich denkbar ist, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Denn der Mensch ist mehr als seine Arbeitskraft, Teilzeit ist keine verkrüppelte Festanstellung und Solopreneure müssen nicht als Scheinselbständige bekämpft werden.
Treffende Analyse. Übertragung in die Lebenswelt? Kulturwandel in Unternehmen und zwingend in Schule und Ausbildung! Wir pauken Fakten für PISA und die IHK und bewerten Mitarbeitende nach Zertifikaten. Aber: diese Strukturen schaffen auch Sicherheit – eine intrinsische Motivation zum Kulturwandel braucht deshalb gute Incentives. Ideen?
Naja es ist ja nicht nur eine Analyse, sondern stammt aus den Erfahrungsberichten von mittlerweile über 1.000 Einzelcoachings. Die Auswertung der Ergebnisse, die ich zusammmen mit Inken Arntzen veröffentlicht habe (https://www.amazon.de/gp/aw/d/B0197868R4), sind ein Hinweis auf die Wirkweise einer Typologie für die fluide Karriere. Es braucht unserer Erfahrung nach vor allem Motivation, eine Bestätigung der eigenen Fähigkeiten durch Selbstwirksamkeit und den Mut neue Wege für die eigene Karriere zu gehen. Ich schaue diesbezüglich nicht zu Unternehmen, der Lehre oder zu den Ministerien auf.
Der Artikel fasst wunderbar zusammen, was ich meinen – teils ungläubigen – Klienten im BewerberCoaching von der Arbeitswelt von morgen berichte. Ich ermutige und unterstütze Bewerber darin, sich selbst mit Ihren Fähigkeiten, Neigungen und Wünschen zu erkennen und dann in Ihren Bewerbungen nach außen zu tragen.
Doch auf der anderen Seite fehlen die Arbeitgeber, die diesen besonders engagierten und motivierten Menschen die Chance geben, weiter zu wachsen und der Gesellschaft und der Wirtschaft ihren Mehrwert zu geben. Wo sind also die Unternehmen der Zukunft zu finden, die verstanden haben, worauf es bei der „Human Resource“ wirklich ankommt?
Naja, es gibt ja viele gute Beispiele von Unternehmen die es versuchen anders zu machen, hier meine Lieblingsquellen: http://www.reinventingorganizationswiki.com/Main_Page & http://bcorporation.eu/germany
In vielen der dort genannten Unternehmen, ist einiges anders. Wer seine fluide Karriere in die Hand nimmt, muss halt wissen ob die 4.0-Makulatur vieler Unternehmen die dort nicht verzeichnet sidn ausreicht.