Die Indikatoren, die darauf hindeuten, dass wir infolge der menschengemachten Klimakrise und der Krise der Biodiversität in ein existenzielles Problem hineinlaufen, zeigen uns täglich, dass unsere derzeitige Art des Wirtschaftens und Konsumierens, die im globalen Norden ihren Anfang genommen hat, keine Zukunft haben kann. Wirbelstürme, die wie vor kurzem in den USA einen Milliarden-Schaden verursachen und zudem viele Menschenleben fordern, Hitzewellen, die in vielen Teilen der Welt auch im Jahre 2024 erneut Tausende Hitzetote fordern, Dürren und Überschwemmungen, die Ernten vernichten und Menschen wie vor einigen Wochen in ganz Mitteleuropa heimat- und wohnungslos machen, gehören inzwischen zu den Alltagsmeldungen in den Nachrichten. Die sogenannte Attributionsforschung zeigt regelmäßig auf, wie hoch der Anteil der Klimakrise an diesen Extremwetterereignissen ist.
Beispiel Ostsee-Sturmflut 2023
Die in weiten Teilen Deutschlands nicht wirklich wahrgenommene Sturmflut an der deutschen Ostseeküste im Jahr 2023 war die schwerste Sturmflut seit mindestens 150 Jahren. Das Hochwasser in Flensburg erreichte eine Höhe von 2,27 m. Die Attributionsforschung hat errechnet, dass der Anteil der menschengemachten Klimakrise daran bereits 20 cm betrug. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Sturmflut-Schäden mit der Höhe des Hochwassers nicht linear sondern exponentiell ansteigen. Der Schaden betrug in etwa € 240 Mio.. Dieser Schaden entspricht der Verminderung unseres Wohlstandes durch eben dieses Ereignis. Da die beschädigte Infrastruktur aber natürlich wieder aufgebaut wird, wird dieses Sturmereignis am Ende unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gesteigert haben (auf dem Foto unten ist der nicht mehr existente Strand des Ostsee-Bades Laboe zu sehen).
Da das hierfür herangezogene BIP als Hilfsindikator für Wohlstand gilt, bedeutet dies technisch gesehen, dass die Klimakrise anscheinend unseren Wohlstand steigert. Vergleichbares galt ehedem auch für die Beseitigung der katastrophalen Schäden im Ahrtal.
Warum nehmen wir die vorliegenden Daten nicht wahr?
Kann die scheinbar fehlende Erfassung der ökonomischen Folgen des menschengemachten Klimawandels und der Krise der Biodiversität, die ihrerseits zu einem Einbruch der nicht-monetären Leistungen des Biosystems führt, der eine wichtige Grund dafür sein, dass wir uns nicht offensiver der Klimakrise und der Biodiversitätskrise als existenziellen Problemen der Menschheit stellen? Die Entwicklungen der globalen Durchschnittstemperaturen in den letzten beiden Jahren und das Massensterben in den Biosystemen sind ja ebenso dramatisch und offensichtlich und liegen ganz nüchtern als Daten vor. Beide Wissenschaftszweige sind sich einig, worin die Ursachen liegen: Unser Konsum und die Nutzung fossiler Energieträger zur Ermöglichung dieses Konsums zerstören unsere Lebensgrundlagen.
Wieso haben diese Themen in der breiten Bevölkerung und in der Politik aber nicht die herausgehobene Bedeutung, die ihnen angesichts der damit einhergehenden existenziellen dramatischen Folgen für die Menschheit eigentlich zugesprochen werden müsste?
Die psychologische Flucht vor der Klimakrise
Psychologie und Psychotherapie schlagen uns auf diese Fragen eine konkrete Antwort (Reasearch Gate) vor: Es ist die Unfähigkeit, so die FachexpertInnen, der Menschen, auf der individuellen Ebene mit einer Gefahr umzugehen, die am Ende die eigene Existenz gefährden könnte. Flucht und Angriff als evolutionär erlernte Strategien des Umgangs mit einer existenziellen Gefahr wirken hier nicht; ein Weglaufen ist aufgrund der Globalität der Krise keine Option, ein Angriff sei nicht möglich, da der einzelne gegen die globale Gefahr nichts ausrichten könne. Also bleibe nur als letzte Strategie das „Wegducken“, um „unsichtbar“ für die Gefahr zu werden. „Wegducken“ sei allerdings eher eine kindliche Strategie, die wir als Eltern kennen, wenn Kleinkinder in für sie als gefährlich wahrgenommenen Situationen die Hände vor die Augen halten, weil sie glauben, damit für die Gefahr nicht mehr sichtbar zu sein. Der Mensch habe den Umgang mit solchen existenziellen Risiken verlernt, so dass er diese Kleinkind-Strategie der Verdrängung der Gefahr wähle und die Hände vor die Augen halte.
Dieser Ansatz der Erklärung der Verdrängung der Krise wird nicht jeder für sich wahrnehmen oder annehmen wollen. Zudem ist es für die Psychologie herausfordernd, neben Fächern, die quantitative Methoden nutzen, als auch qualitative Methode wahrgenommen zu werden. Über Psychologie in der Öffentlichkeit oder in solchen Debatten zu sprechen, berührt viele Menschen unangenehm. Die Klima- und die Biodiversitätskrisen werden aber noch sehr viel unangenehmer werden. Lasst uns daher versuchen, offener über die existenzielle Krise zu sprechen.
Disclaimer: In den nächsten Wochen werden wir im Rahmen unserer Podcast-Reihe ein Gespräch mit der bekannten Psychologin Lea Dohm veröffentlichen und noch tiefer in die Materie einsteigen.
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