Diese etwas kryptisch anmutende Frage stellt der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SVU) der Bundesregierung in seinem aktuellen Diskussionspapier mit dem Titel „Strategie des Genug“, das im März diesen Jahres erschienen ist. Es geht in dem Papier um die Frage, ob die moderne Gesellschaft mit dem bestehenden Wirtschaftssystem und einer reinen Effizienzsteigerung der Produktionsweisen sowie dem technologischen Fortschritt eine nachhaltigere Lebensweise auf einem Planeten mit begrenzten natürlich Ressourcen erreichen kann.
Die Rolle der Suffizienz
Um die Antwort auf diese Frage gleich vorwegzunehmen: Nein, Nachhaltigkeit kann ohne eine Reduktion unseres materiellen Hungers nach Konsum nicht erreicht werden. Wir benötigen stattdessen, so die Expert:innen, eine gesellschaftlich getragene ergänzende Strategie der Suffizienz. Der SVU schreibt hierzu:
„In diesem Sinne zielt Suffizienz darauf ab, umweltbelastende Aktivitäten so zu reduzieren, dass die ökologische und klimatische Stabilität gesichert und damit die Freiheit und Teilhabe aller Menschen besser ermöglicht werden können.“
Dabei stellt Suffizienz keine Einschränkung der konsumorientierten Freiheitsrechte der Menschen dar, sondern zielt nur auf ein nachhaltiges Gleichgewicht zwischen Konsum und Umwelt einerseits und die Balance zwischen den Interessen der gegenwärtig lebenden und den zukünftigen Generationen ab. Die Expert:innen betonen explizit, dass keine der existierenden klassischen liberalen Freiheitsparadigmen individuelle Freiheit als unabhängig von der Freiheit der anderen Menschen definiert. „Freiheit“ bedeutet nicht die Freiheit von Verantwortung und Rücksichtnahme.
Das traditionelle westliche Wertesystem hat aber in der Vergangenheit zur sogenannten „Großen Beschleunigung“ in der Nutzung und der Schädigung natürlicher Ressourcen geführt, da „Wachstum“ pauschal mit „Wohlfahrt“ gleichgesetzt wurde und technologischer Fortschritt unkritisch als Wachstumsermöglichung angesehen wurde.
Die Herausforderung der Entkopplung
Empirische Studien zeigen nun aber, dass jede in der traditionellen theorielastigen Ökonomie vorgeschlagene Form der „Entkopplung“ von Wirtschaftswachstum und den Emissionen von Treibhausgasen bisher nicht funktioniert hat. Wenngleich es individuelle, relative und notwendige Entkopplungstrends durchaus gegeben hat, führen doch Reboundeffekte, Volumeneffekte und der technologische Fortschritt doch immer wieder zwangsweise zu einem Anstieg der absoluten Volumina von Stoffströmen, Ressourcenverbräuchen und Treibhausgasemissionen.
Aus Sicht des SVU fußt dieser gesellschaftliche und wirtschaftliche Hunger nach Materie aber nicht nur auf postkolonialen Mechanismen der Ausbeutung und Ungleichgewichte, sondern repliziert diese auch noch. Innerhalb der Länder des Nordens sind es die innergesellschaftlichen Ungleichgewichte, globale betrachtet sind es die Nord-Süd-Ungleichgewichte, die implizit umweltschädigendes Wachstum replizieren. Suffizienz ist daher innerhalb der planetaren Grenzen der einige Ausweg aus dem Dilemma der Nicht-Nachhaltigkeit, das derzeit mit sich bringt, dass sich die Masse, der durch Menschen produzierten globalen Materien alle 20 Jahre verdoppelt. Zudem kann Suffizienz durch Redisstribution von Materie bzw. natürlichen Ressourcen die zweidimensionalen sozialen Ungleichheit reduzieren helfen.
Der Wandel der individuellen Lebensweise und damit auch der gesellschaftlichen Wertesysteme darf aus Sicht des SVU nicht den einzelnen Menschen aufgebürdet werden. Hierbei befindet sich der SVU auch auf einer Linie mit dem Deutschen Ethikrat, der genau dies vor kurzem in seinem eigenen Gutachten gefordert hatte; ein nachhaltiges individuelles Verhalten kann nicht innerhalb eines Wirtschaftssystems umgesetzt werden, dass Nicht-Nachhaltigkeit implizit durch Subventionen belohnt (Bsp. Kilometerpauschale). Politische Regulierung im Sinne des Aufstellen von Spielregeln muss konsistent einhergehen mit einer Adressierung von Suffizienz als Teil einer Kultur des Umgangs miteinander und mit der Natur.
Der SVU stellt ganz klar fest:
„Ressourcenintensive Lebensstile gefährden die Freiheit anderer und es gibt keinen moralischen Anspruch, dies zu ignorieren.“
Um einen politischen und kulturellen Wandel zu befördern, schlägt der Rat die Einrichtung von Bürgerräten für Suffizienz vor. Vergleichbare Bürgerräte haben bereits in der Vergangenheit gezeigt, dass sie, entkoppelt von der politischen Debattenarena, fähig sind, Menschen und ihre Werte zueinander zu bringen und konsensual Lösungen zu finden. Darüber hinaus werden Spielregeln und Rahmensetzungen gefordert, die nicht-nachhaltiges Leben und Arbeiten verteuern und den Zugang zu nachhaltigeren Formen bspw. Der Mobilität erleichtern. Wenngleich das Individuum nicht in seinem Streben nach Nachhaltigkeit alleingelassen werden darf, kommt dem Vorleben einer nachhaltigeren Lebensweise im persönlichen Umfeld doch eine maßgebliche Rolle zu. Der SVU nennt hierzu Beispiele aus den Bereichen Ernährung, Landwirtschaft, allgemeine Flächennutzung und Energie, die zeigen, wie wichtig ein Maßnahme-Mix für einen nachhaltigen Wandel ist. Auch gesellschaftliche Narrative auf Basis von wissenschaftlichen Erkenntnissen müssen diesen Wandel begleiten.
Es ist noch ein weiter Weg, den wir als Gesellschaft gehen müssen. Es kann deshalb nicht schaden, wenn die Menschen, die schon einen Stück weit diesen Weg gegangen sind, von ihren Erfahrungen berichten, oder, wie es der SVR etwas nüchterner formuliert:
„So wie Suffizienzstrategien geeignet sind, ökologische Ressourcen zu schonen und ein nachhaltigeres Naturverhältnis zu etablieren, beinhaltet eine suffiziente Praxis auch das Potenzial, zu resonanteren, also weniger entfremdeten Weltbeziehungen und in diesem Sinne einem gelingenden Leben beizutragen.“
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Lieber Ole,
vielen Dank für diesen wichtigen Beitrag. Ich freue mich sehr über Eure klare Positionierung in Übereinstimmung mit den SRU. Die m.E. gar nicht so kryptische Frage, „Wie viel ist genug“ stellten ja bereits Robert und Edward Skidelsky in ihrem 2012 publizierten gleichnamigen Buch.
Das liberal-demokratische Argument der Freiheit, so viel konsumieren zu dürfen, wie mensch will, steht und fällt mit der Definition von „Freiheit“. Und da hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil 2021 zum damaligen Klimaschutzgesetz bereits einen ersten interessanten Hinweis geliefert. Wenn wir jetzt nicht ausreichend handeln, schränken wir damit die Freiheitsrechte zukünftiger Generationen ein.
Darüber hinaus glaube ich, dass wir Freiheit nicht nur über das Jetzt hinaus definieren müssen, sondern ebenfalls das „Hier“ erweitern müssen. Denn leider sind umweltschädliche Extraktionen und Emissionen nicht auf unsere Landesgrenzen beschränkt. Hinzu kommt, dass wir immer noch einen erheblichen Teil unserer Ressourcen und Produktion aus dem globalen Süden beziehen, und zwar unter sozial mehr als fragwürdigen Bedingungen (Textilindustrie, seltene Erden…).
Insofern bin ich dankbar, dass die Idee einer Suffizienzwirtschaft, wie sie ja schon von einigen Personen wie Niko Paech vor vielen Jahren ins Spiel gebracht wurde, langsam salonfähig wird.
Herzliche Grüße und einen guten Start in die neue Woche
Andreas