In vielen Unternehmen ersaufen die Menschen nicht in zunehmender Arbeitsdichte, sondern in hausgemachter Bürokratie. Sie ist der wahre Grund, weshalb kaum Zeit und Raum für das bleibt, was wirklich zählt. Am besten geht man mit einer crossfunktionalen Taskforce dagegen an.
Über die Jahre hat sich in vielen Organisationen eine gewaltige Fülle von Prozessen, Verfahren und Regularien angesammelt. Diese werden oft aus purer Gewohnheit oder, noch schlimmer, aus machtpolitischen Gründen beibehalten, obwohl sie längst veraltet sind. Sie führen zu Verzögerungen, Überforderung und Ineffizienz, verhindern das Neue, binden Ressourcen und tragen zu keinerlei Wertschöpfung bei.
Für aufwendige Abstimmungsschleifen, Genehmigungsterror und Irrläufe im Vorschriftengeflecht hat niemand noch länger Zeit. So, wie wir uns von alten Möbeln trennen, damit die neuen Einzug halten können, so müssen im Business die überholten Gewohnheiten weg. Analog würde das auch jeder Gärtner so machen. Alles Unkraut, das die jungen Triebe am Wachsen hindert, räumt er beiseite.
Die entscheidende Frage lautet demnach zunächst: „Was wollen wir nicht mehr tun, was muss also weg?“ Erst hiernach stellt sich die Frage: „Was muss anders und besser werden, damit wir nicht den Anschluss verpassen und möglichst schnell in die Zukunft starten?“ Auf diese Weise schlägt man drei Fliegen mit einer Klappe: Man spart Geld, gewinnt wertvolle Ressourcen und verdient sich notwendige Mittel für Innovationen.
Bevor man sich um Neues kümmert: bitte entrümpeln
Je träger ein Unternehmen, desto anfälliger ist es für Überholmanöver. Ein radikaler Abbau selbsterschaffener Bürokratie ist deshalb unumgänglich. Dafür sind schnell losstürmende Einsatzkräfte perfekt. Solche Sturmtrupps nenne ich Transformation Taskforces. Sie gehören zu keiner Business Unit, sondern agieren crossfunktional, gehen also quer durch das gesamte Unternehmen auf Entschlackungstour.
Im Eilschritt die Zukunft erreichen heißt zuallererst: rigide Strukturen lösen und Hürden entfernen, um flotter laufen zu können.
Hiermit sind nicht die gesetzlichen Regularien und behördlichen Vorgaben gemeint, sondern überholte interne Routinen. 50 Prozent weniger Administration, Statusberichte, Abstimmungsverfahren, Formalien und so fort, das wäre eine vernünftige Zielzahl. „Minus50“ nenne ich dieses Programm.
Denn ganz ohne Strukturen und Regeln geht es natürlich nicht. Einleuchtende Vorgaben sichern ein notwendiges qualitatives Leistungsniveau. Und sie helfen, böse Fehler zu vermeiden. Solche Prozesse sind kluge Prozesse. Dumme Prozesse hingegen sind zu nichts nutze und verplempern nur Energie. Sie müssen schnellstens ausgemerzt werden.
Abschreckende Beispiele gibt es in Hülle und Fülle
Einmal, nach einem Vortrag, meinten die anwesenden Manager, Bürokratie käme bei ihnen kaum vor. Dann stellte sich raus: Jede (!) Ausgabe brauchte dort ein Häkchen. Kam dann die Rechnung, durchlief sie „der guten Ordnung halber“ drei Abteilungen: Die Buchhaltung prüfte die formale Korrektheit. Der direkte Vorgesetzte zeichnete sie ab. Danach gab der Bereichsleiter das finale Okay. Herr, schick Erleuchtung! Die „blinden Flecken“ sind in manchen Firmen wirklich riesig.
Schlimmer noch: Was diese „gute Ordnung“ kostet und wie viel Zeit sie verschlingt, wird kaum je beziffert. In einem Fall habe ich das mal nachprüfen lassen. Bei fast allen Genehmigungen haben die Führungskräfte die Anträge ihrer Mitarbeiter einfach nur durchgewunken. Also bitte! Wenn eh meist Übereinstimmung herrscht, sind aufwendige Bewilligungsroutinen reine Verschwendung. Warum also das ganze Abzeichnungsgetue? „Absegnen fühlt sich halt gut an“, sagte mir einer.
Kontrolle von „Oben“ kann womöglich Fehler verhindern, doch sie weckt kein Leben, erzeugt keinen Schwung, keine Kreativität und schon gar keine Motivation. Vielmehr erzieht man sich lauter Mündel, die meinungslos auf Anweisungen warten. Mit anderen Worten: Man macht seine Mitarbeiter führungsbedürftig und sorgt für „erlernte Hilflosigkeit“. Zudem zerstört man damit die Möglichkeit, andere, bessere Wege zu einer Zielerreichung zu finden.
Damit die Kunst des klugen Weglassens gut gelingt
Bei einem übergreifenden Bürokratieabbau-Programm tauchen zwangsläufig Missstände auf. Widerstände sind quasi vorprogrammiert. Deshalb ist zu beachten:
- Die Taskforce darf von Bereichsleitern nicht an ihrer Arbeit gehindert werden.
- Das Team muss selbst organisiert arbeiten, damit es schnell Fahrt aufnehmen kann.
- Verzichten Sie auf aufwendige Berichtsmaßnahmen und umfängliche Kontrollen.
- Lassen Sie Experimente und Probierphasen und damit fehlertolerantes Lernen zu.
- Die unbedingte Rückendeckung der Geschäftsleitung ist absolut essenziell.
- Lassen Sie solche Projekte niemals von einer externen Beratercrew machen.
Ein Bürokratieabbauteam packt vor allem aus der Zeit gefallene Abläufe an, zum Beispiel so: „Bisher dauert die Abwicklung von … eine Woche. Wie schaffen wir das an einem Tag?“ Oder so: „Bisher brauchte die Dokumentation von Vorgang … zehn Seiten. Wie gelingt das in zehn Sätzen?“ Oder so: „Bislang durchlaufen Bewilligungen bei uns drei Instanzen, wie schaffen wir das mit einer Instanz?“
So kann man Verfahren digitalisieren, via agiler Tools die Effizienz steigern, Tempo machen und zusätzliche Wertschöpfung erzeugen. Vorwärtsdenker können hierbei federführend agieren. Auch Change Maker aus dem Kreis der jungen Talente sind dafür wie geschaffen.
Selbst Praktikanten mit ihrem unverstellten Blick können das entscheidende Fünkchen Genialität beisteuern, wenn man sie mitmachen lässt.
Leitplanken ja, aber keine festgezurrten Prozesse
Sie sind der Meinung, die einzelnen Abteilungen sollten sich selbst um Bürokratieabbau kümmern? Genau das wird nicht klappen. Manager neigen zum Hinzufügen und Mehren, nicht zum Ausmerzen und Vermindern. Ausufernde Verfahrensweisen und Vorschriftenberge untermauern die Wichtigkeit und dienen der Bedeutungserhöhung. Und Bestehendes wird zu Zwecken der Selbstbestätigung gerne glorifiziert.
Regeln müssen gebrochen werden, wenn sie sich als veraltet, als hinderlich oder als unsinnig erweisen. Wenn hingegen ein Handbuch zum Gesetzbuch wird und das Management explizit Verfahrenstreue belohnt, kümmern sich die Beschäftigten vor allem darum, den vorbestimmten Abläufen akribisch zu folgen, selbst dann, wenn das der größte Blödsinn ist. Aus Sicht des Marktes ist das der Anfang vom Ende.
Unvorhersehbare Ereignisse und permanente Vorläufigkeit sind die neue Normalität. Die Fähigkeit zum steten Wandel ist hierbei das größte Plus. Natürlich stellt man Leitplanken auf, damit niemand in den Abgrund gerät. Ansonsten gilt es, seine Mitarbeiter zu befähigen, situativ angemessen zu reagieren, ohne dass alles bürokratisch festgezurrt und kontrolliert werden muss. Dies ist der wohl beste Weg, um schnell genug für die Hochgeschwindigkeitsanforderungen der Zukunft zu sein.
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