Auch wenn die Hoffnung eine andere ist: Die Digitalisierung sorgt nicht automatisch für mehr Nachhaltigkeit. Manchmal befördert sie sogar nicht-nachhaltiges Wachstum. Das kann man zum Beispiel beim Strombedarf von Video-Streaming sehen: Zwar ist die Ökobilanz eines gestreamten Filmes besser als die einer Leihgabe aus der Videothek, gleichzeitig ist das Streamen so bequem, dass die Nutzer/innen viel mehr Filme anschauen als früher.

Welche Möglichkeiten bietet die Digitalisierung, nachhaltiger und klimaschonender zu leben, arbeiten und zu wirtschaften?

Und wie kommen wir dorthin? Und wie kann es realisiert werden, dass die Digitalisierung und der technische Fortschritt eines der drängendsten Probleme der Menschheit lösen helfen – den Klimawandel?

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In diesem Gespräch setzen sich Tilman Santarius und Jan Schnellenbach zu genau diesen Frage auseinander. Santarius ist Nachhaltigkeitsforscher und er meint, dass wir eine nachhaltige Lebensweise nur mit weniger Konsum erreichen – wir müssen uns vom Wachstumsparadigma verabschieden. „Degrowth“ nennt man das.

Jan Schnellenbach ist Wirtschaftswissenschaftler und kein Fürsprecher von Degrowth. Wenn Nachhaltigkeit mit einem geringeren Lebensstandard einhergeht, wird es uns nicht gelingen, in der Bevölkerung für Akzeptanz zu sorgen, meint er. Er setzt eher auf technologischen Fortschritt, um Emissionen zu verringern. Diese sehr technik-optimistische Herangehensweise nennt man „Neoklassik“.

Denn es geht ja nicht nur um einen individuellen „Pursuit of Happiness“, also individuelle Konsumentscheidungen, meint Schnellenbach, sondern auch darum, wie unsere Gesellschaft im Innersten aufgebaut ist: Auch die Sozialsysteme zum Beispiel sind an Wachstum gekoppelt. „Das hätte ganz erhebliche Nebenwirkungen, wenn man vom Wachstum weggeht“, sagt er. „Die Herausforderung ist aus meiner Sicht, Wachstum so zu gestalten, dass es mit öffentlichen Gütern – auch öffentlichen Umweltgütern – nicht zu stark kollidiert. Dass wir da in einen Raum kommen, in dem die Nebenwirkungen auf das Klima nicht zu sehr überhandnehmen.“

Entsprechend ist der Klimawandel für ihn vor allem ein technisches Problem: Wir sollten „die Güter, die wir weiterhin konsumieren wollen, auf eine möglichst klimaneutrale Art konsumieren und produzieren“, fordert er. Dazu sollte der marktwirtschaftliche Innovationsprozess in eine Richtung gelenkt werden, dass klimaneutrale Konsum- und Produktionsweisen entstehen – und dazu gehöre auch, Technologien schnell weiterzuentwickeln, die heute noch in den Kinderschuhen stecken, wie zum Beispiel Technologien, mit denen CO2 gespeichert oder aus der Atmosphäre geholt wird.

Diesen technologischen Fortschritt der vergangenen Jahrzehnte bestreitet auch Santarius nicht, doch „trotzdem haben wir uns von den Klimazielen weiter entfernt und haben immer mehr Treibhausgase in die Atmosphäre geblasen“, sagt er. „Es kann also sein, dass technologischer Fortschritt nicht nur nicht genügt, sondern dass er auch kontraproduktiv ist – nämlich dann, wenn er dazu führt, dass man dann an anderer Stelle mehr verbraucht“, kritisiert er.

„Wir müssen jetzt zusehen, dass wir diese technologische Entwicklung in Einklang bringen mit einer gesellschaftlichen Entwicklung“ –

Santarius fordert eine sozial-ökologische Transformation, damit die Einsparpotenziale aus diesen Technologien tatsächlich auch zu einer Minderung der Emissionen führen. Und dazu brauche es ein Umdenken und ein Umgestalten, politische Regulation und ganz neue Geschäftsmodelle.

„Wir entwickeln erst jetzt einen wirklich wirksamen CO2-Emissionshandel auf der europäischen Ebene“, entgegnet Jan Schnellenbach. Eine ernstzunehmende CO2-Bepreisung habe es bisher noch gar nicht gegeben und die richtigen Anreize werden erst jetzt gesetzt. „Da müssen wir in der Zukunft noch wesentlich aggressiver vorgehen!“, meint er. Aber er meint auch: „Gerade, um auch auf der globalen Ebene zu erreichen, dass weniger CO2 emittiert wird, müssen wir dem Rest der Welt zeigen, dass es möglich ist, ein hohes materielles Wohlstandsniveau mit wenig CO2-Konsum zu verbinden, weil nur das als Vorbild in anderen Weltregionen wirklich wahrgenommen wird.“

Doch wird das schnell genug gehen? Sind diese Veränderungen rasch genug umsetzbar, können Menschen, Gesellschaften und die Politik so schnell umdenken, wie es nötig wäre? Denn der Klimawandel steht kurz vor sogenannten Kipp-Punkten – Veränderungen, die, wenn sie erreicht sind, den folgenden Wandel stark beschleunigen werden. „Wir müssen an allen Fronten kämpfen“, sagt Santarius: „Ich sehe nicht, dass wir da irgendwo schon einen Durchbruch hätten!“ Gerade das Festhalten am Wachstum sei einer der Gründe, dass immer wieder gezaudert und nicht beherzt zugegriffen würde. Auch die Corona-Krise würde vor allem diese Frage aufwerfen: „Sind wir eigentlich für die Zukunft gewappnet mit einem solchen System, das ohne anhaltendes Wachstum nicht auskommt?“

Nachhaltiger konsumieren und produzieren, das sind die erklärten Ziele

sowohl von Tilman Santarius als auch von Jan Schnellenbach. Doch reicht der technologische Fortschritt? Oder braucht es stärker einschneidende Maßnahmen? Darüber diskutieren die beiden Wissenschaftler hier.


Das Gespräch führte ​Inga Höltmann, Journalistin und Expertin für die Themen Kulturwandel, Neue Arbeit und moderne Führung, und Gründerin der Accelerate Academy, einer Plattform für Neue Arbeit und Neues Lernen, um Menschen und Unternehmen in ihrer Transformation zu unterstützen.

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