Agilität ist mittlerweile in vielen Unternehmen nicht mehr nur noch Schlagwort, sondern wird gerade in vielen Teams eingeführt oder ist sogar schon die gängige Organisationsform. In Deutschland haben 62 % der Organisationen in den vergangenen drei Jahren agile Methoden eingeführt, weitere 20 % nutzen agile Methoden bereits seit vier bis sechs Jahren in ihrer Organisation. Dieser Trend hin zu Agilität ist nicht verwunderlich, da dies eine Methode ist, die gerade in Krisenzeiten und unsicheren Zeiten sehr erfolgsver-sprechend ist. Laut einer Studie von Bearing Point sieht ein Großteil der Unternehmen Agilität als Vorteil, wenn schnell auf Veränderungen wie beispielsweise in Krisen, reagiert werden muss (82 %). Zudem geben sieben von zehn Befragten an, dass agile Organisationen im Vorteil sind, weil Mitarbeitende selbst organisiertes Arbeiten gewohnt sind und daher auch remote effizient sein können (71 %).
Die Top 5 Gründe für die Einführung von Agilität sind laut dem Agile Pulse 2020
- Erhöhung der Flexibilität (57 %)
- Erhöhung der Geschwindigkeit (49 %)
- Stärkere Kundenzentrierung (38 %)
- Einfachere und schlankere Prozesse (31 %)
- Verbesserung der Eigenverantwortung der Mitarbeitenden (17 %)
Was haben die Top 5 Gründe für die Einführung von Agilität mit Lernen zu tun?
Wenn man auf die Top 5 Gründe schaut, dann wären alle Gründe auch eine Wunschvorstellung für ein modernes Lernvorgehen:
- Eine flexible Lerngestaltung ist gerade in Zeiten von ortsunabhängigem Arbeiten enorm wichtig, damit Lernen auch z.B. im Home-Office stattfinden kann.
- Durch die rasant schnellen Veränderungen (technologisch und organisatorisch), verliert Wissen immer schneller an Haltbarkeit und somit müssen Lerninhalte in höherer Geschwindigkeit angepasst und vermittelt werden.
- Der Begriff Kundenzentrierung wirkt im Lernbereich auf den ersten Blick unpassend, jedoch wird die Wichtigkeit klarer, wenn man den Lernenden als Kunden sieht. Eine höhere Lernerzentrierung und Individualisierung der Lerninhalte führt zu einem passgenaueren Lernangebot.
- Wenn es den Lernenden möglich ist mit möglichst geringen Hürden (technische Infrastruktur, zeitliche Flexibilität, leichtes Anmelden zu Lerninhalten, etc.) die eigene Lernreise zu gestalten, wird das Lern-Engagement deutlich nach oben gehen und somit der Lernprozess leichter im Alltag verankert.
- Eine höhere Eigenverantwortung der Mitarbeitenden führt zu einer höheren intrinsischen Motivation für das Lernen, was wiederum zu einem größeren und nachhaltigeren Lernerfolg führt.
Wie kann es also gelingen diese Aspekte in eine moderne Lernlandschaft zu überführen?
Wie auch bei der Einführung der Agilität in Unternehmen als Organisationsform ist die anzuwendende Methode erst einmal unwichtig. Denn zu Beginn kommt es auf das Mindset der Mitarbeiter:innen und die (Lern-)Kultur an. Denn für die meisten Unternehmen und Mitarbeiter:innen ist Lernen häufig bisher ganz anders gelebt worden (zum Teil sogar im kompletten Gegensatz zu den genannten Punkten) und es müssen zuerst mal der neue Horizont und die neuen Möglichkeiten des Lernens aufgezeigt werden. Damit neue Lernwelten funktionieren, müssen diese auch angenommen werden.
Wenn z.B. in der Organisation Lernen bislang als lästiges Übel wahrgenommen wird oder Lernen als Zeichen von Schwäche gilt, nutzt es nichts mit einem großen Trommelwirbel eine neue Lernlandschaft einzuführen.
In diesem Fall ist zu aller erst eine Bestandsaufnahme der Kultur nötig, gefolgt von der Aufstellung eines Kultur-Zielbildes (hier müssen die Mitarbeiter:innen unbedingt einbezogen werden) und dann gefolgt von einer konsequenten Kommunikation. Dies ist sozusagen das Fundament, welches gegossen wird, um dann im nächsten Schritt die neue Lernwelt darauf zu errichten.
Sobald die Voraussetzungen für eine neue Lernwelt kulturell geschaffen worden sind, kann der inhaltliche Rollout der Lernwelt stattfinden.
Was bedeutet dies nun für die Auswahl einer Lernwelt und eines Lernsystems?
Wenn die Vorteile von Agilität im Lernen genutzt werden sollen, dann muss bei der Gestaltung der Lernwelt und des Lernsystems auf die relevanten oben genannten Punkt eingegangen werden. Zudem kann als Rahmen der Gestaltung das Agile Manifesto (das Ursprungswerk der Agilität) genutzt werden, um die darin genannten Werte und Prinzipien in die Lernwelt einfließen zu lassen.
Ein modernes Lernsystem sollte die Lernerzentrierung im Mittelpunkt haben. Das bedeutet, dass Lernen individuell auf die Lernenden zugeschnitten wird und somit individualisierte Lernreisen entstehen. Dieses Zuschneiden der Lerninhalte kann jedoch nur funktionieren, wenn zu Beginn eine Art Standortbestimmung, z.B. mit valider Diagnostik (bei Mindset und Soft Skills Entwicklung) oder einem Einstufungstest (im Bereich der Hard Skills) durchgeführt wird.
Auf Basis dieser Standortanalyse werden dann die Lerninhalte passend für den/die Lernende/n zusammengestellt. Diese starke Lernerzentrierung wird zu einer Erhöhung der Eigenverantwortung beim Lernen führen, da sich das Lernprogramm/die Lernwelt nicht anonym anfühlt, sondern vielmehr als individueller Lernbegleiter. Zudem sollten für eine möglichst flexible Lerngestaltung ein System entwickelt werden, was Endgeräte-unabhängig ist, d.h. sowohl auf dem Laptop, als auch auf dem Smartphone und dem Tablet funktioniert. Damit können die Lernenden so auf die Lerninhalte zugreifen, wie es für sie gerade passt. Diese Flexibilität ist gerade in Zeiten des ortsunabhängigen und (zum Teil) zeitunabhängigen Arbeitens enorm wichtig um möglichst viele Lernende zu erreichen. Zudem sollte ein Micro-Learning Ansatz gewählt werden, da sich kurze Lerneinheiten deutlich besser in den Alltag integrieren lassen. Zudem sind viele kurze und dafür viele Einheiten effektiver als wenige, sehr lange Lerneinheiten (siehe Artikel Lebenslanges Lernen ist ein Marathon).
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass bei der Gestaltung einer modernen Lernwelt und eines modernen Lernsystems sehr viel von den Vorteilen der Agilität gelernt werden kann. Gerade in Zeiten schneller Veränderung und ortsunabhängigen Arbeiten können Lernende extrem von Lernwelten profitieren die mit Blick auf die agilen Werte und Vorteile der Agilität entwickelt worden sind.
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Danke für den sehr informativen Artikel.
Die Anforderung Lernerzentrierung im Unternehmen ist aus meiner Sicht ein Bereich, der es unbedingt wert ist, gesondert behandelt zu werden: Diagnostik, Umsetzungsvorausset-zungen, Engpässe, Erfahrungen etc. Vielleicht gibt es dazu auch an dieser Stelle etwas Platz dazu.
Mit freundlichen Grüßen
Stefan Brandt-Pollmann