Einige Organisationen werden dank Investitionen in nachhaltige Geschäftspraktiken gestärkt aus der Pandemie hervorgehen.  Die Chance besteht für Unternehmen aber nicht nur darin die Umwelt zu berücksichtigen, sondern sich auch was Talent angeht auf die richtige Seite der Gleichung zu stellen. Unternehmen, die Mitarbeiter als erneuerbare, ja entwickelbare, Ressourcen sehen statt auf verschwenderische Praktiken wie Entlassungen in großem Stil zu setzen, verschaffen sich nämlich einen entscheidenden Vorteil für die Zukunft.

Noch mehr Ungleichgewicht

Was hat CVS Health Corp., eines der weltweit größten Gesundheitsunternehmen, mit Gap Inc., dem allgegenwärtigen Imperium für Freizeitkleidung, Hilton Worldwide Holdings Inc., der legendären Hotelkette, und Delta Airlines, einem der größten Luftfahrtunternehmen der Welt, gemeinsam?

Auf den ersten Blick nicht viel. Die vier Unternehmen repräsentieren vier verschiedene Sektoren der Weltwirtschaft. Wer jedoch etwas tiefer blickt, stellt fest, dass sie ein gemeinsames Ziel teilen: Neue Arbeitsplätze für Menschen zu finden, die wegen der COVID-19-Pandemie verloren gingen.

CVS hat seit März 2020 einen Aufschwung erlebt und versuchte deshalb verzweifelt, 50.000 Leiharbeiter einzustellen, um in Lagern und Lagerregalen in ihren Läden zu arbeiten. Um seine Bedürfnisse zu erfüllen, ist CVS eine Partnerschaft mit Gap, Hilton und Delta eingegangen, um diese Stellen mit einigen der Hunderttausenden von Mitarbeitenden zu besetzen, die entlassen oder beurlaubt wurden. In dieser Geschichte kann CVS leicht durch Einzelhandelsgiganten wie Rewe oder Aldi und Gap oder Delta durch McDonalds, Lufthansa oder TUI ersetzt werden und hierzulande Geltung finden.

CVS reagierte schnell, um seine eigenen Bedürfnisse zu erfüllen und den betroffenen Mitarbeitenden zu helfen. Die konkrete Durchführung war aber nicht nachhaltig, da CVS schnell mit 900.000 Lebensläufen überschwemmt wurden, um 50.000 Stellen zu besetzen. Ähnliche Situationen wurden in Deutschland beispielsweise in der Luftfahrt und im E-Commerce / Logistik (hier) oder zwischen McDonalds und Aldi (hier) mit unterschiedlichem Ausgang beobachtet.

Wie auch immer diese Partnerschaften letztlich ausgehen, spiegelt das Denken dahinter eine neue, nie dagewesene Betonung des Individuums als erneuerbare, ja entwickelbare Ressource wider, die es Unternehmen ermöglicht, in der Wirtschaft nach der Pandemie erfolgreich zu sein.

Chance zur „Selbsterneuerung“

Wir sprachen mit Alan Wild, dem ehemaligen Leiter Employee Relations und Engagement bei IBM. Er zeigt uns auf, wie es IBM gelang, die strategischen Transformationsziele zu erreichen dank eines Fokus’ auf Menschen und auf die «Selbsterneuerung» der Belegschaft.

Wir müssen anerkennen, dass, wenn wir aus der Pandemie herauskommen, nicht alle Menschen wieder dieselben Stellen haben oder die gleichen Dinge tun werden wie zuvor.

…,sagte Alan Wild. „Die Herausforderung für Arbeitgeber besteht darin sich zu fragen: können wir diesen Moment nutzen, um herauszufinden, wie wir unsere Mitarbeiter umschulen und neu qualifizieren, um sie in verschiedene, neu zu besetzende Berufe zu bringen? “

Vor der Pandemie hatten viele Organisationen Schwierigkeiten, die Menschen und Fähigkeiten zu finden, die sie brauchten, um zu wachsen und strategische Transformationsziele zu erreichen. Aufgrund des globalen Fachkräftemangels waren viele der größten Unternehmen der Welt besorgt darüber, den zukünftigen Talentbedarf zu decken. Dieser «vorpandemische» Mangel an Talenten hatte bereits viele Unternehmen veranlasst, ihre Personalstrategien neu zu formulieren, um den verschwenderischen Ansatz des „Entlassens zwecks Wiedereinstellung neuer Kompetenzen“ zu entkommen.

Wild hatte einen Platz in der ersten Reihe für diese Art des Talent Managements. Anfang der 2010er Jahre versuchte IBM bereits sein Geschäft rapide zu verwandeln, um mit den Fortschritten bei künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen Schritt zu halten. Zu diesem Zweck starteten sie eine aggressive Kampagne, um Hunderttausende von Arbeitnehmenden mit veralteten Kompetenzen zu entlassen – nur um sie – mit einer nahezu gleichen Anzahl neuer Mitarbeitende mit zeitgemäßeren Fähigkeiten buchstäblich auszutauschen.

„Zu dieser Zeit konzentrierten wir uns so sehr auf die Umstrukturierung und Einstellung neuer Mitarbeiter, dass mein Budget für die Entlassungen das Sechsfache meines Budgets für die Umschulung betrug“, sagte Wild.

Glücklicherweise stellte IBM schnell fest, dass dieser Prozess nicht sinnvoll war und dass es nicht genügend externe Kandidaten gab, um ihre Anforderungen zu erfüllen. Und dass viele der Personen, die sie entliessen, den gegenwärtigen und zukünftigen Qualifikationsbedarf durch eine Umschulung decken konnten.

Am Ende des Jahrzehnts hatte sich die Talentstrategie von IBM grundlegend gewandelt. Dank angepasstem Fokus (von Entlassung – Einstellung zu Mobilisierung – Umschulung) blieb der Investitionsrahmen stabil und das Unternehmen ist heute eine weltweit anerkannte Referenz in Sachen Up- und Reskilling.

ROI neu definieren – Return On Individual

Unternehmen planen jetzt für die Zeit nach der Pandemie. Daher wächst das Interesse an Strategien für das Management entwickelbarer Talente und an einem menschlicheren und nachhaltigeren ROI – so gut wie einer Rendite auf Mitarbeiterschaft statt auf finanzielle Vermögenswerte. Ironischerweise bietet gerade die Pandemie Unternehmen die Möglichkeit, das kurzfristige Denken zu beseitigen und durch Mechanismen zu ersetzen, die Arbeitnehmern eine Chance gibt sich an zukünftige Arbeitsanforderungen anzupassen.

Eine längerfristige Sichtweise ist das Wesentliche des Return on Individual. Es geht darum, den Mitarbeiter bewusst zu ermöglichen, zukünftige Rollen entweder innerhalb des Unternehmens oder anderswo zu besetzen. Ein hoher Return on Individual wird in Unternehmen erzielt, die in die Zukunft von Menschen investieren, die seit vielen Jahren in sie investieren, und sich neuen Herausforderungen stellen. Diese Organisationen werden nicht nur den – durch die Pandemie nicht verschwundenen! – Fachkräftemangel effektiver beheben, sondern auch eine anerkannte Arbeitgebermarke aufbauen. Diejenigen Organisationen, die hinterherhinken, werden jedoch feststellen, dass die Aufgabe, Menschen mit zukunftsorientierten Fähigkeiten zu finden, noch schwieriger ist als vor der Pandemie.

Über die Pandemie hinaus gehört die Zukunft jenen Organisationen, die in der Lage sind, ihre aktuellen Fähigkeiten durch gezielte Mobilisierung, Entwicklung und Qualifizierung wiederzubeleben.

Diese Praktiken sollen dem Einzelnen ermöglichen, mit Veränderungen in der Art der Arbeit Schritt zu halten und somit das volle menschliche Potenzial freizusetzen.

Eine Rolle für alle

Die neuesten Gesetze zur Qualifizierungsförderung setzen in Deutschland ein wichtiges Zeichen und ermöglichen vielen Unternehmen eine Teilfinanzierung ihrer Umschulungsvorhaben. Eine zukunftssichere Beschäftigung ist aber erst möglich, wenn alle Interessengruppen den Paradigmenwechsel gemeinsam angehen.

Wie und in welcher Weise Unternehmen, Mitbestimmungspartner, öffentliche Institutionen oder allgemein die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das neu zu denkende Talent-Ökosystem berücksichtigen könnten, haben wir mal in unserem Whitepaper zusammengefasst. Ich freue mich auf ihre Rückmeldungen!

675 mal gelesen