Coworking Spaces im ländlichen Raum – Chance für eine positive Strukturentwicklung, bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Leben sowie mehr Nachhaltigkeit.
Unser „Zukunft der Arbeit“- Projektteam beschäftigt sich bereits seit einigen Jahren mit den unterschiedlichen Aspekten von „New Work“. Schwerpunkt ist dabei die Beobachtung der Auswirkungen auf die Arbeitsorganisation als solche und auch auf die Mitarbeitenden.
Die fortschreitende Technisierung ermöglicht es in den letzten Jahren (und nicht erst seit der Corona-Krise) immer mehr Arbeitenden, ihre Tätigkeit mobil, d.h. am Ort oder zum Zeitpunkt ihrer Wahl, auszuüben. Die Folge hiervon ist, dass die Angebote der „Neuen Arbeitsorte“ mittlerweile so vielfältig sind, wie es der Bedarf der arbeitenden Menschen ist.
Es handelt es sich hierbei nicht nur um büroähnliche Angebote, sondern auch um Werkstätten, wie Makerspaces, oder Arbeitsflächen im halböffentlichen Raum, beispielsweise in Cafés, Lounges oder sogar um Angebote in Einkaufszentren.
Die herausstechende Form des Shared-Workspaces ist aber die des „Coworking-Spaces“. „Ein Coworking-Space ist hierbei als ein Ort zu verstehen, an dem Menschen zusammenkommen, um gemeinsam, aber nicht unbedingt miteinander zu arbeiten“, wie Tobias Kremkau es in unserer Interviewsammlung „Neue Orte des Arbeitens“ bereits im Sommer so treffend formuliert hatte.
Das Phänomen „Coworking“ ist aus den Metropolen der Welt mittlerweile nicht mehr wegzudenken und die Auswirkungen dieser neuen Orte des Arbeitens sind inzwischen so konkret geworden, dass sie dabei sind, das gewohnte Immobiliengefüge in großen Städten neu zu ordnen.
Auch in deutschen Großstädten beobachteten wir einen starken Zuwachs an Coworking-Spaces und an anderen Shared-Workspace-Angeboten für Menschen, die zeitweilig oder auch dauerhaft einen inspirierenden Arbeitsort außerhalb der eigenen vier Wände oder des Betriebes suchen.
Uns stellte sich daher die Frage, ob und in welcher Form diese Art des „alleine-zusammen-arbeitens“ auch auf den ländlichen Raum übertragbar ist.
Denn die Vorteile liegen auf der Hand:
Coworking auf dem Land ist gut für Umwelt, Regionalentwicklung, Fachkräftesicherung und die persönliche Work-Life-Balance
Mit Hilfe dieser neuen Angebote könnte, so unsere Vermutung, das Aussterben von Kleinstädten und Dörfern wegen des Wegzugs von Arbeitskräften wahrscheinlich ein Stück weit aufgehalten werden und ländliche und vormals strukturschwache Regionen durch den Zuzug von Familien und das Wiederaufleben von Infrastruktur sogar gestärkt werden. Dies wäre vor allem auch dort denkbar, wo eine Region aufgrund ihrer Ländlichkeit und Abgeschiedenheit Eigenschaften hat, die bisher eher auf Wirtschaftsschwäche hindeuten würde. Mit dem Arbeiten auf dem Land würde sich dieser Standortnachteil in einen Standortvorteil verwandeln.
Daneben böten Ressourceneinsparungen finanzieller, zeitlicher und umweltbezogener Art auf Seiten der Beschäftigten und eine Erweiterung des Fachkräfteeinzugsgebietes zudem wirtschaftliche Vorteile für Betriebe, die sich auf dieses Angebot des Arbeitens auf dem Land einlassen und zeitliche sowie finanzielle Vorteile für die Beschäftigten.
Diese Form des Arbeitsplatzangebotes wäre damit nicht nur aus arbeitsorganisationaler Sicht und zum Wohle der Arbeitenden sinnvoll, sie wäre auch aus Gründen der Regionalentwicklung und insbesondere der Ressourcenschonung für eine nachhaltigere Arbeitswelt von großem Mehrwert…
…so unsere weitergehenden Schlüsse aus den zahlreichen Interviews. Menschen könnten bei Bedarf wohnortnah gut ausgestattete Arbeitsplätze nutzen und müssten nicht mehr zwingend in die Nähe des Betriebsortes ziehen oder tägliches Pendeln auf sich nehmen.
Coworking im ländlichen Raum scheint folglich ein erfolgsversprechender Ansatz zu sein. Ob dieser erste Eindruck auch einer näheren empirischen Betrachtung standhält und wie erfolgreiches Coworking im ländlichen Raum konkret aussehen kann, war Gegenstand dieser Trendstudie. Wir untersuchten dabei, inwiefern sich die Nutzertypen, die Geschäftsmodelle und die Beweggründe, sich auf dem Lande einzurichten sich von denen der Ballungsgebiete unterscheiden und was die Erfolgskriterien zu sein scheinen.
Coworking auf dem Land hat eine sehr viel breitere Zielgruppe und Integrationskraft als in der Stadt. Es wird von all jenen nachgefragt, die ein Bedürfnis nach Gemeinschaft haben und sich ihren Arbeitsort frei auswählen können.
Hier die wichtigsten Fragen und Erkenntnisse in Kürze:
Coworking auf dem Land…
…ist vielfältiger als in den Städten.
Um dies beurteilen zu können, war es notwendig, die Motivation der Nutzer:innen, der Gründer:innen sowie die unterschiedlichen, bereits erfolgreich agierenden Initiativen zu untersuchen. Wir haben dabei festgestellt, dass die Zielgruppen, die Coworking auf dem Land nutzen oder auf Dauer nutzen könnten, weitaus heterogener als in den Städten sind.
Zum einen nutzen zunehmend auch Angestellte und nicht nur Selbständige und Freelancer die neuen Arbeitsort. Zum anderen stammen die Nutzer:innen aus sehr diversen Branchen. Sie bilden damit die ganze Breite der Gesellschaft ab.
… bedient sich anderer Geschäftsmodelle
Ein weiterer Ausgangspunkt bei der Konzeption der Untersuchung war die Frage nach der Wirtschaftlichkeit bestehender Coworking-Modelle im ländlichen Raum. Die Geschäftsmodelle von Coworking-Spaces in Großstädten sind aber ohne Adaption nicht auf den ländlichen Raum übertragbar. Zu Beginn unserer Recherche erschien es sogar als fraglich, ob ein Coworking-Space auf dem Land überhaupt nach üblichem Verständnis wirtschaftlich erfolgreich arbeiten kann.
Es wurde daher untersucht, unter welchen Bedingungen ein Erfolg eintreten kann und wie alternative Geschäftsmodelle aussehen, die ein dauerhaftes Überleben eines Coworking-Spaces sicherstellen. Nach unseren Untersuchungen existieren abgrenzbare, in sich wirtschaftliche Geschäftsmodelle, die sich vom städtischen Coworking klar unterscheiden. Zu diskutieren wäre hierbei langfristig die Rolle von Kommunalpolitik und Wirtschaftsförderung vor Ort.
…funktioniert vor allem als Netzwerk
Wir fanden bei der Untersuchung der Geschäfts-modelle unterschiedliche Ansätze, die aber alle einen Punkt gemeinsam hatten: den Netzwerkgedanken. Denn Coworking auf dem Land funktioniert vor allem dort, wo Netzwerke geschaffen oder genutzt werden, sowohl im Aufbau als auch in der Vermarktung.
…profitiert von mobilen Arbeitsstilen
Dank der digitalen Transformation und befeuert durch die Auswirkungen der Covid-19 -Pandemie auf die Arbeitswelt, entstehen neue, mobile Arbeitsstile, die das Arbeitsleben prägen. Die Menschen nutzen zunehmend flexibel und anlassbezogen Arbeitsorte, d.h. der ‘eine‘ Arbeitsort hat ausgedient. Neue Arbeitsorte im ländlichen Raum profitieren von dieser Entwicklung.
… hat belebende Effekte auf Ortsgemeinschaften
Eine der für uns interessantesten Ausgangsfragen war, inwieweit sich diese Entwicklungen auf die Daseinsvorsorge auswirken. Im Rahmen der Befragungen wurden Hinweise darauf gefunden, dass Dank der entstehenden Neuen Arbeitsorte und der Möglichkeit des mobilen Arbeitens, Zuzug auch wieder in periphere ländliche Räume stattfindet und bereits erste belebende Effekte zu erkennen sind.
Zusammenfassend lässt sich feststellen:
Coworking auf dem Land ist gesellschaftlich wünschenswert, aber kurzfristig bisher selten wirtschaftlich.
Und welche Auswirkungen hatte Corona?
Das Auftreten der Covid-19-Pandemie (die zum Ende der Interviewphase ausbrach) änderte die Situation maßgeblich. Homeoffice wurde zum ‚neuen Normal‘ und mobiles Arbeiten plötzlich „salonfähig“.
Das Virus zwang Unternehmen jeder Größe, Neues auszuprobieren und Lösungen für die Weiterführung der täglichen Arbeit herbeizuführen, wie Expert:innen unserer Corona Sonderstudie aus dem August 2020 feststellten.
Es bietet sich demnach neben der ohnehin in dieser Studie beschriebenen positiven Entwicklung ein weiteres Gelegenheitsfenster für das Coworking-Modell im ländlichen Raum. Denn, wenn zunehmend „Angestellte“ Coworking-Angebote nutzen, kommt Unternehmen als regelmäßigen Mietern von Coworking-Arbeitsplätzen eine neue Bedeutung zu.
Daher kann nun der Faktor „Unternehmen als Auftraggeber“ stärker als ursprünglich ins Kalkül bei der Einschätzung der potentiellen Wirtschaftlichkeit (mithin Überlebensfähigkeit) als positives Element hinzugezogen werden.
Eine Anschlussuntersuchung der Beweggründe bzw. Bedarfe der potentiellen nutzenden Unternehmen stellt insofern eine wertwolle Ergänzung dar und befindet sich daher bereits in Planung.
Wagen wir einen Blick in die Zukunft…
Abgesehen von diesem gegenwärtig zu beobachtenden Trend hin zum Coworking auf dem Lande, sind auch längerfristige Veränderungen denkbar, die wir zwar nicht in den Interviews abgefragt haben, die uns aber nach Betrachtung der Interviewergebnisse logisch und konsequent erscheinen.
Hierzu gehören zuallererst eine deutliche Änderung der Verkehrsströme. Der klassische Pendelverkehr in die Ballungsgebiete wird dauerhaft abnehmen, wenn die Arbeitnehmer:innen mehr von zu Hause arbeiten oder lokale Coworking-Angebote wahrnehmen. Da es zu einer Verlagerung der Ströme kommt, wird sich dadurch der regionale Verkehr erhöhen. Diese Entwicklung hätte eine direkte Auswirkung auf die Verkehrswegeplanung, Flächennutzung sowie die regionale Strukturplanung als Ganzes – mit der Folge, dass regionale Strukturen ertüchtigt werden müssen und die der Ballungsgebiete an Bedeutung verlieren.
Die von uns beobachteten aktuellen Entwicklungen deuten darauf hin, dass es im Bereich der Gewerbeimmobilien zu einer massiven Verlagerung kommen könnte.
Denn Betriebe werden einen geringeren Platzbedarf haben, wenn sich die Präsenzkultur innerhalb ihrer Arbeitsorganisation ändert. Klassische Gewerbeimmobilien werden zwar nicht an Bedeutung verlieren, sie werden aber in anderer Form und Größe benötigt werden. Große Organisationen werden ihre Büroflächen reduzieren und vermehrt “Shared Offce”-Konzepte etablieren. Zudem ist es denkbar, dass es für einzelne Branchen nicht mehr wirtschaftlich sein wird, eigene Immobilien zu halten und es vermehrt zu „örtlichen“ Zusammenlegungen unterschiedlicher Betriebe kommen wird. Damit wird auch der Gewerbeimmobilienmarkt betroffen sein.
Kleinere Gewerbeeinheiten führen in der Folge dann dazu, dass auch die Grundidee von Gewerbegebieten zu hinterfragen ist. Ebenso wie die gesamte Städtebaupolitik wird hier eine Anpassung an den Bedarf und damit den Markt stattfinden müssen.
Eine Neuausrichtung der Gewerbegebiete hin zu einem Ort des lokalen vernetzten Arbeitens und der zunehmenden gemeinsamen Nutzung von Ressourcen wäre aus diesem Grunde wünschenswert.
Schließlich wird auch der private Immobilienmarkt von dieser Verlagerung betroffen sein, weil die eigenen „vier Wände“ an Bedeutung gewinnen, wenn Menschen mehr Zeit zu Hause verbringen. Wir vermuten daher, dass die Nachfrage an Einzelimmobilien im eher ländlichen oder kleinstädtischen Raum weiter steigen und der Wohnungsmarkt in den Ballungsgebieten sich entspannen wird.
Wenn sich diese Vermutungen bewahrheiten, steht uns ein Umbruch bevor, der die bisherige Städtebau- und Städteplanungspolitik vollständig in Frage stellt. Oder anders formuliert: Die Politik ist jetzt gefragt, die Weichen für die Zukunft (um-) zu stellen.
UPDATE – Aufzeichnung Studienveröffentlichung
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Sehr interessanter Beitrag! Wir beschäftigen uns mit neuem Wohnen für alt und jung im digitalen Zeitalter. Homeoffice mit separatem Eingang für Kleingewerbe. Kostensenkung bis 0-Kosten beim Heizen, Kühlen und Stromverbrauch durch PV-Dachanlage und Cloud-Speicher.
Ich bin keine Gewerbesteuerexpertin, aber mobiles Arbeiten bedeutet ja nicht automatisch immer „ortlose Teams“. Der Betriebsort bleibt in der Regel erhalten. Seine Bedeutung verändert sich nur. Die Mitarbeiter:innen verbringen ihre Zeit dort überwiegend mit der Festigung der sozialen Kontakte zB der Teams oder mit Besprechungen, die in Präsenz besser funktionieren. Außerdem wird es in der überwiegenden Anzahl der Branchen immer Tätigkeiten geben, die am Betriebsort stattfinden müssen. Insofern sehe ich auf den ersten Blick keinen zwingenden Grund aus steuerrechtlicher Sicht. Sollte ich hier falsch liegen, freue ich mich über einen Hinweis.
Grundsätzlich ist es aber auf jeden Fall sinnvoll sich über die künftige Bedeutung und Aufgabe eines Betriebsortes Gedanken zu machen und die traditionellen Bilder auf den Prüfstand zu stellen.
Der Trend zu mobilem Arbeiten wirft die Frage auf, wie er sich auf die Definition der Betriebsstätte nach der AO auswirkt. Das wäre von erheblicher Bedeutung für die Gewerbesteuerzerlegung zwischen Gemeinden.
https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/user_upload/Coworking_im_laendlichen_Raum.pdf
sehr viele orthographische Fehler; in den Zitaten fehlen meist die Leerzeichen zwischen den Wörtern, quasi kaum lesbar.
Guten Morgen! Danke für die Rückmeldung! Wir arbeiten daran – wir befürchten, dass das Problem gerade nur bei Apple auftritt.
hallo, das download-link funktioniert bei mir leider nicht?
können sie es mir evtl mailen?
danke!
Leider ist die Website der Bertelsmann Stiftung gerade nicht erreichbar. Sobald dies wieder der Fall ist, ist die Publikation auch wieder über den Blog und auch über https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/coworking-im-laendlichen-raum-all zum Download bereit. Entschuldigt bitte die Unannehmlichkeiten!