Verwaiste Büroetagen, eingestaubte Kaffeemaschinen, leere Postfächer. Das Leben in den Büros in Deutschland stand lange Zeit still und zaghaft beginnen einige Unternehmen nun wieder mit den Wiederbelebungsversuchen des Büroalltags. Stufenweise öffnen sie die Tore, und versuchen Hygienekonzepte und betriebliche Anforderungen in Einklang zu bringen. Für viele Beschäftigte ein Hoffnungsschimmer.
Rückschritt voraus!
Wie trügerisch diese Momente aber sein können, das erlebten wir am 17. Juni am eigenen Leib: inmitten einer Online-Betriebsversammlung, die uns die schrittweise Rückkehrmöglichkeit in das Stiftungsgebäude verkünden sollte, vermeldeten die Medien den massenhaften Ausbruch des Corona-Virus im Schlachtbetrieb Tönnies mit mehr als 1.500 Infizierten.
Plötzlich stand der Kreis Gütersloh Kopf und noch vor Ende der Versammlung war allen klar, dass niemand von uns – wie eigentlich geplant – wieder zur Arbeit nach Gütersloh würde fahren können. Weitere Wochen des Arbeitens am Küchentisch, am Schreibtisch im Kinderzimmer, in manchen Fällen kniend im Schlafzimmer oder bestenfalls in einem halbwegs vernünftig eingerichteten Arbeitszimmer würden folgen müssen. Weitere Wochen mit endlos erscheinenden virtuellen Meetings von morgens bis abends, mit wenigen kurzen Pausen und ohne den liebgewonnenen Schnack mit den Kollegen in der Teeküche. Aber: das alles dient unserem Schutz und dem Schutz derer, die sich keinesfalls mit dem Virus infizieren dürfen. Also, weitermachen wie gehabt.
Ich bin dankbar, dass mein Arbeitgeber mir die Möglichkeit einräumt, von zu Hause und auch mobil zu arbeiten. In diesen besonderen Zeiten war und ist es mir und meinem ebenfalls in einem Büro arbeitenden Mann mit zwei zuhause zu beschulenden Kindern nicht möglich, in Vollzeit zu arbeiten und gleichzeitig als Gymnasial- und Grundschullehrer, Koch und Entertainer tätig zu sein.
Das #Corona-Virus lehrt uns, dass wir verletzlich sind, und dass wir Wege finden müssen, der Pandemie zu begegnen.
Die Arbeitswelt der in Büros tätigen Menschen erfuhr mit der Bekanntgabe des Shutdown und der Schließung der Bürogebäude eine komplette Kehrtwende, weg von der gewohnten Präsenz im Büro, hin zu Home/Mobile Office. Keine Dienstreisen mehr, keine Flüge, keine Meetings in Großgruppen in klimatisierten Räumen.
Alles anders – alles besser?
Für manche war dies der Moment, in dem sie die Kontrolle über ihre Zeitplanung zurückgewannen. Für andere war es die Möglichkeit, die Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit besser mit individuellen Werten (Umweltbewusstsein, Vereinbarkeit Leben und Beruf) vereinbaren zu können. Selbstorganisiert zu arbeiten, eigenständig zu planen woran, wie lange und wo man arbeitet, war für manche eine Selbstverständlichkeit, für die meisten aber ein absolutes Privileg. Für wiederum andere war die Absendung ins Homeoffice der Moment, in dem sie soziale Isolation erfuhren und über Wochen hinweg ihre Kontakte allenfalls virtuell stattfinden konnten, inklusive derer, die privater Natur waren.
Die jüngste Studie unseres Teams ist eine Begleitstudie zu der im Juni 2020 gemeinsam mit dem MÜNCHNER KREIS e.V. veröffentlichten Zukunftsstudie Leben, Arbeit, Bildung 2035 und sie nimmt die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Arbeitswelt in Deutschland ins Visier. Sie will wissen, welche Veränderungen und Effekte die Pandemie in der Arbeitswelt hervorgerufenen hat und welche hiervon langfristig, also auch nach Ende der Pandemie, unseren Arbeitsalltag prägen werden. Die Sondererhebung wurde ebenfalls in Kooperation mit den Forschern des TUM Campus Heilbronn sowie dem Münchner Kreis durchgeführt und veröffentlicht. 211 der bereits im Rahmen der Hauptstudie befragten ExpertInnen für Digitalisierung, Technologie und Künstliche Intelligenz nahmen inmitten des landesweiten Shutdowns an der Studie teil.
Zum Begleittext der Sonderstudie bitte hier entlang.
Welche Änderungen bringt die Pandemie also für die Arbeitswelt?
Grundsätzlich lassen sich zwei wesentliche Tendenzen erkennen:
Corona beschleunigt die digitale Transformation der betrieblichen Arbeitswelt.
Die Digitalisierung der Arbeitswelt erfährt durch Corona einen deutlichen Schub: 85 Prozent der Befragten glauben, dass Homeoffice und/oder mobile Arbeit sich zukünftig als alternative Arbeitsform etablieren wird, und dass digitale (Kommunikations-)Tools zum allgegenwärtigen Arbeitsmittel werden. Die Ausnahme würde damit zur Regel.
92 Prozent der ExpertInnen gehen davon aus, dass die Krise die digitale Transformation in Unternehmen beschleunigen wird.
Sie erwarten, dass vor allem digitale Dienstleistungen und Kundenkommunikationskanäle auch nach der Krise noch verstärkt zum Einsatz kommen werden.
Sowohl die räumliche wie auch die zeitliche Verteilung der Arbeit wird sich langfristig an den in der Krise neu etablierten Standards orientieren. Dem Vorurteil, dass die weitgehend isolierte Art des Arbeitens zu verminderter Arbeitsleistung führe, begegnen 87 Prozent der Befragten, indem Sie sagen, dass im Home/Mobile Office mindestens gleich viel, wenn nicht sogar mehr gearbeitet würde.
Das Virus zwingt die Unternehmen, Neues auszuprobieren und Lösungen für die Weiterführung der täglichen Arbeit herbeizuführen, die – zumindest in Bezug auf die Arbeitswelt – so neu eigentlich nicht sind. Ihnen fehlte es zumeist an Legitimation durch die Arbeitgeber, die sich in sicherem Terrain wähnten, wenn sie zwar zaghaft den Zeichen der Digitalisierung Rechnung trugen, aber gewohnheitsmäßig Kontrolle vor Vertrauen setzten und zum Beispiel – vor der Krise – auf der Präsenzkultur beharrten.
Die Pandemie erfordert es nun aber, gewohnte Muster komplett zu verwerfen und sich für neue Arten des Arbeitens zu öffnen.
Unsere Arbeitsweisen sind divers und Führung wird in Zukunft auf Vertrauen basieren müssen.
Zwei Drittel der ExpertInnen gehen auch künftig von der Auflösung des Büroalltags aus, ein Drittel vermutet, dass dies nicht unbedingt der Fall sein muss. Dementsprechend liegt die Vermutung nahe, dass zukünftig nicht die eine Lösung für alle das Arbeiten bestimmen wird, sondern eine Balance aus virtueller und physisch präsenter Bürokultur gefunden werden muss. Die Diversität der Arbeitsweisen wird als eine der wichtigsten Erkenntnisse aus der Corona-Krise in die „alte“ Arbeitswelt hineinreichen. Die Zeit ist anscheinend reif für den Beschäftigten, der dort, wo es möglich ist, und in Abstimmung mit den Teamkolleginnen selbst als mündiger Arbeitnehmer festlegt, wo er seine Arbeit gerade am besten ausführen kann.
Auch die Organisation von Arbeitsprozessen wird durch den Trend zum Arbeiten außerhalb des Büros erheblich verändert:
44 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass sich die Führungskultur von Kontrolle hin zu Vertrauen wandeln wird.
Das bedeutet besonders für traditionelle und hierarchisch aufgestellte Unternehmen eine gravierende Umstellung, speziell was die Mitarbeiterführung betrifft.
Die zweite deutlich erkennbare Tendenz aus den Antworten der ExpertInnen ist weniger erfreulich: die durch die Pandemie hervorgerufenen positiven Effekte für die Nachhaltigkeit einer digitalen Arbeitskultur wie z.B. weniger Dienstreisen, weniger Flüge, ein geringeres Verkehrs- bzw. Pendleraufkommen, das Andauern der Stadtflucht, die allgemeine Entschleunigung und die verstärkte Wahrnehmung der Bedürfnisse anderer werden voraussichtlich keine langfristige – also nachhaltige Wirkung haben. Nur 17 Prozent der Befragten erwarten, dass die Menschen auch nach der Überwindung der Krise einem nachhaltigeren Lebens- und Arbeitsstil folgen werden.
Politische Initiative für mehr Nachhaltigkeit in der Arbeitswelt gefordert
Wie auch schon in der Hauptstudie sehen wir hier einen wesentlichen Hebel, um auch langfristig ressourcenschonender und ganzheitlicher zu agieren: Vieles wird davon abhängen, ob wirtschaftliche und politische Entscheider das Nachhaltigkeitspotenzial des digitalen Arbeitens erkennen und entsprechende Initiativen künftig stärker fördern. Mehr Nachhaltigkeit kann z.B. durch Anpassungen der Arbeitsbedingungen erreicht werden.
Als bestes und aktuellstes Beispiel wäre da die mobile Arbeit zu nennen. Sie muss in den Betrieben verankert werden – sei es per Betriebsvereinbarung oder einzelvertraglich. Dabei gilt es, auf die feinen Unterschiede der Anforderungen von Homeoffice (Telearbeit) und mobiler Arbeit zu achten.
Eine Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen mit dem Ziel der Vereinheitlichung im Sinne einer Vereinfachung – und ergänzend ggf. auch durch ein Recht auf mobiles Arbeiten – würde die Umsetzung von mehr Nachhaltigkeit in Betrieben unterstützen.
Wirtschaft, Politik und Gesellschaft sind aufgefordert, die durch die Pandemie hervorgerufenen positiven Effekte in der Arbeitswelt aufzugreifen, weiterzuentwickeln und zu verstetigen. Die ExpertInnen bestätigen gerade mit Blick auf die hohe Akzeptanz virtueller Kommunikationstools sowie Home/Mobile Office eine Veränderungsbereitschaft, die die Gestalter von Rahmenbedingungen und Gesetzmäßigkeiten wahrnehmen und entsprechend unterfüttern sollten.
Das Nachhaltigkeitspotential des digitalen Arbeitens ist aktuell groß, ebenso die Bereitschaft, die Vorzüge der neuen Art des Arbeitens zu nutzen. Finden sich diese Initiativen nun in der Gesetzgebung und in den betrieblichen Routinen wieder und verknüpfen sie die individuellen Bedürfnisse optimal mit den wirtschaftlichen Zielen der Unternehmen, dann ergeben sich enorme Chancen für die sich wandelnde Arbeitswelt. Die Corona-Pandemie wirkt dabei als Beschleuniger.
Sehen wir es mal so: leider war ein lebensbedrohlicher Virus nötig, um diese Entwicklung erheblich voranzutreiben, aber er machte die Vorteile entgrenzter digitaler Arbeit deutlich spür- und greifbar und er weckte Begehrlichkeiten, die – wenn wir es geschickt anstellen – sowohl die Nachhaltigkeit als auch die verbesserte Vereinbarkeit von (Privat-)Leben und Beruf adressieren. Wir hätten das auch anders hinbekommen können, da bin ich mir sicher.
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