In den sozialen Netzwerken sind sie als Gurus des passiven Einkommens, als innovative Masterminds und Instagram-Influencer*innen schon längst überall sichtbar: die digitalen Nomad*innen. Arbeiten, wo andere Urlaub machen, ist das große Versprechen. Doch bisher bevölkern die selbstständigen Freelancer*innen, Lifestyle-Coaches und Start-up-Gründer*innen nur die Coworking-Spaces in Bali, Thailand und Co. Als Produktmanagerin und Werkstudentin beim Berliner Start-up Housy, ist mir aber klar geworden, wie viel man aus diesem Lebensstil mit in deutsche Unternehmen bringen kann – wenn diese denn offen dafür sind.
Vom Berliner Büro des Start-ups Housy an den Strand
Selbstständigkeit und Freelance-Arbeit sind keine Grundvoraus-setzungen mehr geografisch flexibel arbeiten zu können, denn einige Arbeitgeber*innen ziehen bereits mit – wenn in Deutschland auch recht zögerlich. Nicht so zögerlich das Start-up Housy, für das ich Ende 2018 die Rolle der Produktmanagerin übernahm. Das Produktteam erstreckte sich ohnehin schon über deutsche Grenzen hinweg. Online-Projektmanagement-Tools kamen bereits zu meinen Berliner Zeiten zum Einsatz, Kollaboration lief ganz natürlich von Beginn an international, kommuniziert wird im Produktteam natürlich auf Englisch. Längst sind internationale Teams als Instrument zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit auf einem globalisierten Markt geworden.
Aus diesem Grunde kam es nicht allzu überraschend, dass die Gründer Raymond Naseem und Sebastian Melchert kein Problem darin sahen, als ich meinen Plan verkündete, anstatt in Berlin zu verweilen, auf der ganzen Welt zu arbeiten. Die Housy-Gründer erkannten, dass meine Motivation und Kenntnis des Produktes höher zu priorisieren waren als die Risiken der geografischen Abwesenheit.
Meine temporären Arbeitsstätten sind meist zentrierte Nomaden-Communities, deren Standorte durch eine exzellente Internetverbindung, dem Vorhandensein von Coworking-Spaces, arbeitsfreundlichen Cafés und günstigen Lebenshaltungskosten geprägt sind.
Darunter zählen viele Orte in Südostasien wie Bali und Thailand, aber auch Marokko oder Kolumbien. Internetgeschwindigkeiten können auf einer Insel wie Bali um Längen besser sein, als es die meisten Haushalte in Deutschland kennen.
Die digitalen Nomad*innen haben diese Orte regelrecht in westliche, digitale Oasen transformiert, in denen Querdenker aus aller Welt zusammenkommen und sich austauschen. Hier bündeln sich Ideen und die Disruptoren der Zukunft.
Problematisch ist nur, dass vielen Unternehmen all diese Schlagkraft verloren geht, wenn sie diesem Lebensstil nicht offen gegenüberstehen.
Life-Work-Balance anstatt Work-Life-Balance
Denn bloße Anwesenheit ist also schon lange kein Garant mehr für effektive Kollaboration und optimale Leistung. Das wissen die Nomad*innen, wenn sie sich erfolgreich selbstständig machen, anstatt die Gestaltung ihres Alltags von Restriktionen einer Human Resources Abteilung abhängig zu machen. Die Möglichkeit, im Home-Office zu arbeiten, betrifft nämlich nicht nur frisch gebackene Mütter, sondern wird von der Generation Internet schon beinahe vorausgesetzt – unabhängig des Geschlechts.
Die Unternehmen der Zukunft müssen der Tatsache ins Auge blicken, dass meine Generation, die jungen Köpfe von morgen, ihr Leben nicht mehr um die Arbeit herum plant, sondern die Arbeit um das Leben, das sie sich wünschen.
Meiner Meinung nach haben viele deutsche Unternehmen es schlichtweg versäumt, die richtigen Anreize zu setzen. Während diese Unternehmen externe Beratungsfirmen beauftragen, um die Work-Life-Balance ihrer Mitarbeiter*innen zu verbessern, haben die Leistungsträger*innen von morgen schon längst eine umgekehrte Life-Work-Balance als Standard gesetzt. Life-Work-Balance beinhaltet nicht unbedingt weniger Arbeit. Flexible Arbeitsmodelle sind mit der richtigen Technologie wie Cloud-Computing und Organisation in kaum einer Branche noch ein Ding der Unmöglichkeit.
Doch wie organisiert sich ein Arbeitsalltag, wenn Firmensitz und Arbeitsstätte tausende Kilometer voneinander entfernt sind?
Mehr Eigenverantwortlichkeit, Zeitzonendiskrepanz und die Rolle von progressiven Führungskräften
Wenn sechs bis acht Stunden Zeitzonenunterschiede zwischen internationalen Teams liegen, kann dies zu Konflikten führen. Eine intensive Planung aller Aktivitäten kann dies vermeiden, aber auch eine flexible Interpretation der Arbeitszeiten kann hier Abhilfe schaffen.
Das Frauenhofer IAO identifizierte 2018, nicht eine gelegentliche Erreichbarkeit außerhalb der regulären Arbeitszeiten als Stressfaktor einer flexibleren Arbeitszeitgestaltung, sondern die Erhöhung der Arbeitsbelastung in der regulären Arbeitszeit.
Remote Work, auch über Zeitzonen hinweg, muss deshalb trotz Verschmelzung nicht direkt das Burn-out bedeuten. Eine proaktive Abgrenzung von Beruflichem und privatem seitens der Mitarbeiter*innen und die Akzeptanz dieser Grenzen seitens der Arbeitgeber*innen sind vonnöten. Deshalb muss sich die bekannte Arbeits- und Kontroll-Beziehung zwischen Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen verändern. Nur mit einer beidseitigen Feedbackkultur und flacheren Hierarchien kann genug Vertrauen aufgebaut werden. Durch diese Offenheit wird bei Housy deshalb erfolgreich das Konzept der Vertrauensarbeit umgesetzt.
Führungskräfte agieren in flexibleren Unternehmen als Coaches und Begleiter*innen einer Entwicklung, Angestellten wird mehr Verantwortung übertragen und Fehler werden als Lernerfahrung zelebriert. Eine beinahe utopische Veränderung der Unternehmenskultur, wenn alte Arbeitsphilosophien tiefe Gräben zwischen Angestellten und Führungsebenen gegraben haben.
Denn Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeiter*innen ist essenziell für Remote Work.
In den Coworking Spaces kontrolliert niemand meine Anwesenheit, genauso wenig wie jemand wahrnimmt, dass ich abends im Restaurant noch einmal meinen Laptop aufklappe. Eigenverantwortlichkeit kann aber erst bewiesen werden, wenn Führungskräfte lernen loszulassen, weshalb flexiblere Arbeitsmodelle wahrscheinlich besser in Start-ups wie Housy funktionieren. Mit jungen Gründer*innen, die bereits in einer anderen Welt aufwuchsen, müssen diese grundlegenden, misstrauischen Glaubenssätze gar nicht erst wieder verlernt werden.
Die Büroarchitektur der Coworking Spaces
Doch nicht nur aus der Arbeitsorganisation, die mit der Remote Work einhergeht, können Unternehmen Rückschlüsse für die Zukunft ziehen. Coworking-Spaces haben durch die individuellen Bedürfnisse ihrer Mitglieder eine Büroarchitektur entwickelt, die Kollaboration und intensive Arbeit gleichermaßen unterstützt.
So bieten Coworking-Spaces Konzepte wie „Hot- und Cold-Desks“ an, bei dem hot nicht weiter als flexibel und cold zugewiesen bedeutet. Mitglieder mit einer „Hot Desk“-Mitgliedschaft können sich überall hinsetzen, wo Platz ist, und wohin sie ihre mobilen Endgeräte tragen möchten. Sie sind für ihre Arbeitsatmosphäre selbst verantwortlich und können diese jeden Tag an ihre eigenen Bedürfnisse anpassen. Gleichzeitig ist der Coworking-Space in Zonen der ruhigen Arbeit, Zonen zum informellen Austausch, wie Cafés und Stehtische, sowie formelle Meetingräume eingeteilt. Für intensive Arbeitstage mit hohem Konzentrationsaufwand wird von einer Ruhezone Gebrauch gemacht. Zur Pause machen etliche Nomaden in Sitzsäcken oder Hängematten mit Schlafmaske einen Powernap. Nur eine Glasscheibe trennt sie von einem Meetingraum, in dem sich ein internationales Team für einen Workshop in Chiang Mai, Thailand, zusammengefunden hat. Im Nebenraum bekommen Gründer aus aller Welt Inspiration und teilen ihr Wissen mit Menschen aus den verschiedensten Branchen.
Coworking-Spaces sind zu Informel-formellen Orten der Kollaboration geworden, deren Architektur verstärkt auch in die Privatbürolandschaften Deutschlands übertragen werden könnte.
Das Schlagwort ist bei dieser flexibleren Sitzordnung die Selbstbestimmung. Meist wissen Mitarbeiter selbst am besten, wie sie innerhalb eines Teams am produktivsten arbeiten können. Denn für mich sind dies die Coworking-Spaces der Nomadencommunities Südostasiens mit einer Internetverbindung über 50Mbit/s, in denen ich mich von Gleichgesinnten, aber doch ganz anderen Menschen, inspirieren lassen kann.
Zukünftig könnten mehr Unternehmen Remote Work als neue Chance für Innovation und Personalmanagement betrachten – nicht als Ersatzlösung, sondern als flexible Zusatzmöglichkeit.
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When it comes to talking about commercial real estate in Germany and Austria, there is a need to understand one simple thing: these two states fought strategically with COVID-19, and their citizens were supportive of the government. Thus, it let them overcome the pandemic when compared to the other European business overlords, such as Spain, France, and Great Britain. Every coworking in Berlin has still been closed some months ago, and everybody understood why it was needed. The German’s unique ability to follow the rules with precision has definitely helped the government in this unequal fight with an unprecedented enemy.
Vielen Dank für diese Erweiterung der Sichtweise auf „Digitales Nomadentum“:
Es ist eine Form des mobilen Arbeitens, auch geeignet für angestellt Mitarbeitende in Unternemen. Einleuchtend. Was mich als Unternehmer hierbei im Besonderen reizt: Mitarbeitende die an wechselnden Orten Arbeiten nehmen Impulse, Ideen und Gedanken von vielen unterschiedlichen Menschen auf. Von Menschen die unterschiedliche Professionen, Leidenschaften, Erfahrungen und Sichtweisen haben. Das kann äußerst inspirierend sein – für die Mitarbeitenden und die Unternemen gleichermaßen.
Ich fände es spannend hierzu weitere Informationen zu erhalten, beispielsweise auch hinsichtlich arbeitsrechtlicher Fragestellungen und der Frage wer (Mitarbeitende / Unternehmen) welche Kosten tragen.
Würde mich daher sehr freuen, wenn es weitere Einblicke in weiteren Artikel von Ihnen zu diesem Thema gibt.
Danke für den interessanten Artikel. Spannend wird es, wie eine in „normalen “ Zeiten etablierte gut funktionierende Lern- und Vertrauenskultur externe Schocks verkraftet und adaptiert. Wo laufen die Konfliktlinien: Wird es dann so sein, das dann wie in früheren Jahrzehnten von den „Zentralisten“ entschieden wird?