Nachhaltigkeit, Purpose oder New Work sind Buzzwörter, die immer wieder beschworen werden, wenn es um soziale oder ökologische Probleme geht. Was gut klingt, entpuppt sich meist schnell als leere Worthülse. Dahinter steht weiterhin das alte Paradigma des „immer mehrs“. Die Sozialorganik setzt dem den Verweis auf Ganzheitlichkeit entgegen. Unser Handeln hat Auswirkungen auf unsere Mitmenschen, auf die Natur und nicht zuletzt auch auf uns selbst!
Wie kann Wirtschaft für alle beteiligten Akteure, aber auch für nichtbeteiligte Akteure sowie die Umwelt ganzheitlich und sinnvoll gestaltet werden? Diese Frage erforscht das Institut für Sozialorganik an der Alanus Hochschule in Alfter.
Sozialorganik bezeichnet dabei eine normative Ausrichtungsstrategie für Unternehmen, die ein sinnvolles Wirtschaften ermöglicht. Relevant ist dabei das sozialorganische Menschenbild, bei dem sich der freie Mensch einbringt, die Wirklichkeit und somit auch Markt und Unternehmen aktiv mitgestaltet.
Im Erkennen kann der Mensch Zusammenhänge durchdringen und so die Bildekräfte verschiedener Phänomene nachvollziehen. Menschliches Handeln erhält somit eine ganzheitliche und gesellschaftlich relevante Perspektive.
Die Sozialorganik beschreibt in ihren Ursprüngen eine Gesellschaftstheorie, aufgestellt von Anthroposophiebegründer Rudolf Steiner (1861-1925). Er beschrieb die Gesellschaft als dreigegliederten Organismus, in welchem die drei Glieder „Geistesleben“, „Wirtschaftsleben“ und „Rechtsleben“ den sozialen Organismus konstituieren. Diese sind voneinander abgegrenzt und unabhängig von den jeweils anderen Gliedern. Wirken die drei Glieder zusammen, können sie so optimale – und ausgeglichene – Bedingungen schaffen, in denen der Mensch seine Freiheit verwirklichen kann. Analog dazu sieht das Institut für Sozialorganik Unternehmen als dreigegliederte Organismen, in denen die drei Glieder ineinander wirken und so ein sinnvolles Wirtschaften ermöglichen.
Sozialorganik im Unternehmen heißt Dreigliederung im Unternehmen
Ein Unternehmen besteht aus sozialorganischer Sicht ebenfalls aus den Gliedern „Kultur“ (analog zum Geistesleben), „Wirtschaft“ (analog zum Wirtschaftsleben) und „Soziales“ (analog zum Rechtsleben). Die Kultur beschreibt die Vision eines Unternehmens. Warum wirtschaftet ein Unternehmen? Welches höhere Ziel steht hinter der Produktion eines Produkts oder einer Dienstleistung? Sie ist den anderen Gliedern vorangestellt, ohne jedoch zu dominieren. Sie gibt vielmehr den Wegweiser. Bezieht man die ganzheitliche Sichtweise des sozialorganischen Menschen- und Weltbildes mit ein, muss die Vision des Unternehmens ganzheitlich „sinnvoll“ sein.
Die Wirtschaft beschreibt die Mission des Unternehmens. Welche Produkte und Dienstleistungen werden angeboten? Folgt das innerunternehmerische Wirtschaftsleben der ganzheitlich sinnvollen Vision, müssen Produkte und Dienstleistungen ökologisch und sozial sinnvoll sein.
Das Soziale gibt das innerunternehmerische Rechtsleben vor. Es beschäftigt sich also mit der Form der Zusammenarbeit sowie dem institutionellen Rahmen. Nach der ganzheitlich sinnvollen Mission muss dieser entwicklungs- und menschenorientiert sein. Modelle wie beispielsweise die kollegiale Führung nach Bernd Oesterreich und Claudia Schröder bieten hier eine konkrete Ausformulierung der Beziehungen zwischen dem institutionalisierten Rahmen und den Mitarbeitern.
Unternehmen werden, analog zur Gesellschaft, als lebendige und sich stetig entwickelnde Arbeitsgemeinschaften charakterisiert. Ihre Mitglieder (im engen Sinne die Mitarbeiter, im weiteren Sinne jedoch auch andere Akteure wie beispielsweise Akteure entlang der Lieferkette oder auch Kunden) gestalten die Entwicklungen des Organismus aktiv und selbstverantwortlich mit. Das Unternehmen bleibt somit beweglich und kann sich flexibel auf das komplexe und sich immer schneller wandelnde Umfeld einstellen.
Das Arbeiten in einem solchen beweglichen und flexiblen Organismus erfordert neue Formen der Zusammenarbeit, damit die Mitarbeiter in ihrem ganzheitlichen Handeln gestärkt werden und die eigene wie auch die Unternehmensentwicklung fördern.
Der Fokus der Arbeit im Organismus liegt auf der Arbeit an der gemeinsamen Aufgabe. Elementar an dieser Form der Arbeit ist die Neugierde auf neue Ideen und Handlungsmethoden, die Schaffung eines unterstützenden Reflexionsraumes sowie die Wertschätzung der Rolle jedes Einzelnen als Impulsgeber und Netzwerker.
Was bedeutet Sozialorganik nun in der Praxis?
Viele Unternehmen aus dem anthroposophischen Spektrum bezeichnen sich als sozialorganische Unternehmen und übersetzen die theoretischen Implikationen in praktische Formen der Zusammenarbeit oder auch der Verwaltung der Eigentumsfrage. Unser sozialorganisches Partnerunternehmen Alnatura hat sich beispielsweise die kollegiale Führung nach Bernd Oesterreich und Claudia Schröder als institutionelle Form der Zusammenarbeit gegeben. Diese beschreibt die auf viele Mitarbeiter verteilte dezentrale Führungsarbeit. Sie ist situativ und damit anpassungsfähig. Die Kommunikation läuft über direkte Kommunikationswege ab, was für eine hohe interne Transparenz sorgt. Jeder Mitarbeiter trägt eine uneingeschränkte Selbstverantwortung innerhalb des eigenen Verantwortungsbereichs, wobei vor allem mit agilen Methoden gearbeitet wird.
Der Zusatz, dass der Mitarbeiter lediglich im eigenen Verantwortungsbereich eine uneingeschränkte Selbstverantwortung trägt, weist darauf hin, dass Hierarchie innerhalb eines Unternehmensorganismus nicht hinfällig ist. Hierarchie wird als ein natürliches und organisationsimmanentes Prinzip verstanden, dennoch entfaltet sie sich anders als in einem zentralistisch und streng hierarchisch geführten Unternehmen. So bestehen weniger Hierarchieebenen. Teams bilden sich stärker fachorientiert. Alnatura, aber auch Unternehmen wie Sonett oder WALA nutzen die Wertbildungsrechnung im internen Rechnungswesen.
Es handelt sich dabei um ein Abrechnungstool, bei welchem Wertströme im Unternehmen deutlich und transparent gemacht werden. Jeder Mitarbeiter soll die Möglichkeit bekommen, einen möglichst genauen Einblick in die Finanzen des Unternehmens zu erhalten. Dadurch wird es auch den Mitarbeitenden ermöglicht, Maßnahmen nachzuvollziehen und zu bewerten.
Viele Unternehmen bauen auch auf alternative Eigentumsformen, die dabei helfen sollen, die Unternehmensvision zu schützen, das operative Geschäft jedoch immer wieder aktualisieren zu können.
Das Unternehmen WALA gehört zum Beispiel einer nicht-gemeinnützigen Unternehmensstiftung. Das Unternehmen kann so nicht gekauft oder verkauft werden und die erwirtschafteten Gewinne verbleiben im Unternehmen. Über solche alternativen Eigentumsformen, die als Verantwortungseigentum bezeichnet werden, soll die Verpflichtung, die Eigentum auch nach dem deutschen Grundgesetz mit dem Besitz bringt, wiederbelebt werden. Dabei geht es darum, gesellschaftliche, ökologische sowie ethische und ästhetische Verantwortung miteinander zu verbinden.
Wirtschaft im sozialen Organismus
Die Sozialorganik beschreibt also eine Art der Unternehmensführung, die auf Sinn ausgerichtet ist. Dabei wird jedoch nicht nur das Unternehmen oder der wirtschaftliche Hintergrund miteinbezogen, sondern auch die Mitarbeitenden, Kunden, Zulieferer oder auch die Umwelt. Die Sozialorganik macht klar, dass Unternehmen nicht alleine existieren und dass die heute so übliche Gewinnmaximierungsmaxime nicht im luftleeren Raum steht.
Jedes (wirtschaftliche) Handeln hat einen Einfluss auf unsere Lebensrealität und die Art, wie wir miteinander leben. Die Wahrnehmung des Anderen als Menschen, die Wahrnehmung des eigenen Selbst mit allen Stärken und Schwächen sind dafür genauso relevant wie die Verständigung aller zum Organismus gehörenden untereinander.
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