Die digitale Transformation hat viele Facetten: sie verändert Geschäftsmodelle (Plattform- und Datenökonomie), die industrielle Wertschöpfung (Industrie 4.0), Arbeitsmärkte (Gig-Economy und Arbeitsmarktpolarisierung), die Mechanismen der Märkte und natürlich auch die Art und Weise, wie wir miteinander arbeiten (Kollaborations- und Kommunikations-Tools).
Aber ArbeitgeberInnen, ArbeitnehmerInnen und politische EntscheidungsträgerInnen sind keine passiven ZuschauerInnen, sondern gestalten die Zukunft der Arbeit mit. Welche Herausforderungen sich dabei stellen, untersucht eine aktuelle Studie des Progressiven Zentrums und des Policy Network, die vom Smart Workspace-Anbieter Dropbox unterstützt wurde. Dieser Beitrag stellt einige der zentralen Ergebnisse der Studie vor.
Für die Studie wurden 50 ExpertInnen aus Politik, Wirtschaft, Verbänden und Wissenschaft dazu befragt, wie neue Technologien die Wirtschaft und Arbeitswelt verändern und welche Konsequenzen und Handlungsempfehlungen sich daraus für Politik und Wirtschaft ergeben. Die Berücksichtigung der unterschiedlichsten Interessengruppen ermöglicht der Studie einen ausgewogenen Blick auf die Transformation der Arbeitswelt. Um nationalen Besonderheiten Raum geben zu können, wurden Interviews in Frankreich, Deutschland, Großbritannien und EU/Brüssel geführt.
Eine inklusive digitale Transformation
Das gemeinsame Ziel einer inklusiven digitalen Transformation zog sich dabei durch alle Gespräche, die wir im Rahmen dieser Studie geführt haben. Die digitale Transformation kreiert unzählige Chancen, schafft aber auch Unsicherheiten. Eine inklusive digitale Transformation adressiert diese Unsicherheiten durch die gezielte Unterstützung einzelner Menschen, Regionen oder Branchen, die zurückzufallen drohen.
“Skills Maps” können zum Beispiel dabei helfen, diejenigen Fähigkeiten und Kompetenzen zu identifizieren und zu fördern, die in Zukunft benötigt werden. Die gewonnenen Erkenntnisse können als Grundlage für Ausbildungs- und Trainingsprogramme genutzt werden. Aber auch Landesregierungen und Kommunen können so einen guten Überblick über den Arbeitsmarkt in ihrer Region erhalten und die ansässigen Firmen gezielt bei der digitalen Transformation unterstützen. Gerade in einem Land wie Deutschland mit einer dezentralen Wirtschaftsstruktur aus KMUs und “hidden champions” ist die Entwicklung einer regionalen Digitalstrategie, die die Erfordernisse der lokalen Wirtschaft berücksichtigt, essentiell.
“Lernen lernen” und soft skills fördern
Weil sich die Halbwertszeit von Wissen stetig verringert, verändern sich die Ansprüche an unser Bildungssystem grundlegend: „Unser heutiges Bildungssystem baut auf dem Faktor ‘Wissen’ auf”, erklärte uns ein Berater der EU-Kommission. „In der Arbeitswelt von heute zählt allerdings weniger das Wissen, sondern die Fähigkeit zu Lernen”. Das treffe insbesondere auf Soft Skills wie kreatives Denken, Teamarbeit und Problemlösung zu, die bislang kaum an Schulen und Hochschulen gelehrt und gefördert werden.
Trainingsprogramme wie “SkillsFuture” in Singapur oder “Mon compte formation” aus Frankreich, die einen individuellen Anspruch auf Weiterbildung etablieren, Zugang zu Trainingsmodulen ermöglichen und (teil-)finanzieren, sind ein wichtiges Instrument zur Förderung des lebenslangen Lernens. Sie sollen sicherstellen, dass ArbeitnehmerInnen in Zeiten von Veränderungen am Arbeitsmarkt weitere Qualifikationen erlangen. Technologien wirken hier nicht nur als Ursache der Veränderungen, sondern bieten auch Chancen zur beruflichen Weiterbildung. Auch in Deutschland wird in diese Richtung gedacht. Hier hat Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) angekündigt, im Rahmen des “Arbeit-von-morgen”-Gesetzes die Möglichkeiten der beruflichen Weiterbildung von ArbeitnehmerInnen zu verbessern (“Perspektivqualifizierung”).
Technischer Wandel wird nicht ohne kulturellen Wandel gelingen
Die Digitalisierung verändert nicht nur die Art und Weise, wie wir heute arbeiten. Sie verändert auch grundlegend die Arbeitsrealitäten in Unternehmen. Neue Technologien können einen internen Wandel bewirken — etwa indem sie mehr Transparenz in das Unternehmen bringen, Unternehmens-Silos überwinden helfen und Kollaboration erleichtern. Aber neben neuen Technologien („bits”) braucht der kulturelle Wandel am Arbeitsplatz auch „bricks” — einen intelligent gestalteten physischen Arbeitsplatz — und „behaviour”, also unternehmensinterne Regeln und Verhaltensweisen, die neue Arbeitsweisen fördern (siehe dazu u.a. den Artikel “Collaborative Overload”).
Während Unternehmen im Industriezeitalter nach Effizienzkriterien organisiert waren, müssen sie sich in der Wissensgesellscheute nach Kreativitätskriterien organisieren, weil Wissen ein immer entscheidenderer Produktionsfaktor ist. Traditionelle Managementmodelle werden so in Frage gestellt. Ein französischer Gewerkschaftsfunktionär erklärte: „Wir brauchen ein neues Managementmodell, das nicht nur Team-Management umfasst, sondern auch das Selbstmanagement … Unternehmen müssen ihre Strukturen auf der horizontalen Ebene neu denken um das Wissen auf allen Ebenen zu integrieren“.
Die Aufmerksamkeitskrise
Mit dem Kulturwandel eng verbunden ist das, was einer der Interviewpartner die „Aufmerksamkeitskrise” nannte: „Stress, Sorgen und Depression können auf die Aufmerksamkeitskrise zurückgeführt werden — wir sind einfach nicht in der Lage, all die Pop-Ups und Nachrichten zu absorbieren die unser Leben verpesten.” In manchen Fällen verbringen Teammitglieder zwischen 75 und 85 Prozent ihrer Arbeitszeit mit Koordinierung und Kommunikation anstatt der eigentlichen Arbeit.
Digitale Tools haben das Potenzial, die Autonomie und Selbstverantwortung einzelner ArbeitnehmerInnen zu erhöhen — aber sie können auch zu einer always on-Mentalität und dadurch zu Stress und Burnout führen. Auf betrieblicher Ebene oder innerhalb eines Teams muss daher eindeutig geklärt sein, welche Regeln in punkto Erreichbarkeit und Reaktionsschnelle gelten.
Einige Mitarbeiter bei Dropbox haben zum Beispiel ein sogenanntes „Work with me”-Dokument erstellt, das erklärt, was die bevorzugten Kommunikationstools sind, zu welchen Tageszeiten man wie erreichbar ist oder was ihr bevorzugter Arbeitsstil ist. So wird die teamübergreifende Zusammenarbeit erleichtert ohne die individuellen Bedürfnisse aus dem Blick zu verlieren.
Digitale Transformationen
Die Veränderung der Arbeitswelt im Zuge der digitalen Transformation erfolgt in einer atemberaubenden Geschwindigkeit. Und dennoch sind die Herausforderungen nicht in jeder Region oder jeder Branche gleich.
Während einige Industrien schon weit fortgeschritten sind, stehen andere Branchen erst am Anfang der digitalen Transformation. Und während kleinere Städte und Regionen ihren Fokus vielleicht auf Clusterbildung oder Hochschulen setzen um digitale Talente anzulocken, stehen großen Metropolregionen eher vor der Herausforderung, bezahlbaren Wohnraum und andere Infrastruktur zu schaffen.
Nicht alle Herausforderungen der neuen Arbeitswelt müssen durch nationale Gesetzgebung gelöst werden. Automatische E-Mail-Sperren nach Dienstschluss etwa lösen zwar das Problem der „Entgrenzung” von Arbeit, schränken aber auch die Möglichkeit zur Flexibilisierung von Arbeit ein. Hier können individuelle, betriebliche oder tarifliche Vereinbarungen und Regelungen sinnvoller sein.
Diese Beispiele zeigen: anstatt von der digitalen Transformation zu sprechen, müssen wir tatsächlich von verschiedenen digitalen Transformationen sprechen, die zeitgleich auf unterschiedlichen Ebenen stattfinden. Die Studie „Measuring Tomorrow’s Work” zeigt dabei, wie ein gemeinsamer Nordstern aussehen könnte, damit diese Transformation möglichst vielen zugute kommt.
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