Die Welt der Arbeit wandelt sich: Werte werden für viele hochqualifizierte Fachkräfte immer wichtiger. Wichtige Anreize, sich für ein Unternehmen zu entscheiden sind heute eine authentische und glaubhafte Unternehmensvision, ein wirksamer Purpose, gemeinsame Ziele und Werte, mit denen sich alle identifizieren können und auch sollen. Auch in Reaktion darauf beschäftigen sich Gesamtwirtschaft und die Unternehmer als Gemeinschaft mit Modellen jenseits reiner Gewinnmaximierung: Immer mehr Unternehmen streben an sozialer, gerechter und umweltfreundlicher zu werden.
Erste Schritte sind getan; nicht mehr, aber auch nicht weniger. Viele weitere müssen folgen, wenn wir den Klimawandel stoppen und globale Probleme wie Armut und Ungleichheit, die in den 17 Sustainable Development Goals (SDGs) deklariert sind, bekämpfen wollen. Der folgende Blogbeitrag basiert auf Untersuchungen in meinem aktuellen Buch „Future Business Kompass“.
Warten auf die Politik?
Es gibt Lichtblicke. Gerade wurde der Kohleausstieg und damit Milliarden Investitionen in den Strukturwandel verabschiedet. Die neue EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen kündigte Anfang Dezember den Green Deal an: Europa soll bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent werden. Schon in ihren ersten 100 Tagen als Kommissionschefin will sie rechtliche Vorgaben auf den Weg bringen – das wäre dann im Februar 2020. Österreich will die CO2-Neutralität, in der neuen rot-grünen Regierung bereits 2040 erreichen. Gut so. Solche Macher brauchen wir, vor allen Dingen in der Politik.
Der Weg bis zur Verabschiedung von Richtlinien und Verordnungen in der EU dürfte aber steinig werden: Sowohl osteuropäische Staaten als auch verschiedene Industrieverbände haben bereits ihren Widerstand angekündigt. Automobilindustrie und Airlines sind ganz und gar nicht begeistert von steigenden finanziellen Belastungen, zum Beispiel durch eine CO2-Steuer. Andere wiederum – beispielsweise der Energiesektor – begrüßen die geplanten Maßnahmen, da sie sich davon gleiche Wettbewerbsbedingungen und Planungssicherheit versprechen. Und es gibt klare Botschaften aus der Wirtschaft: Technologisch schaffen wir den Green Deal, wenn wir nur wollen.
Ähnlich ging es der Bundesregierung vor Kurzem mit dem Klimapaket – was nicht mal ein Päckchen, eher ein Einschreibebrief geworden ist. Zerrieben zwischen zwei ehemaligen Volksparteien in der GroKo kam am Ende nicht mehr als ein fauler Kompromiss heraus; mit Maßnahmen, die bei weitem nicht ausreichen. „Politik ist das was möglich ist.“ – verteidigte Kanzlerin Angela Merkel das Ergebnis.
Doch das Glaubensbekenntnis reicht bei weitem nicht, um den Klimawandel zu stoppen und unsere Wirtschaft auf ein nachhaltiges Fundament zu stellen. Möglich wäre mehr, viel mehr, wenn Politik Verantwortung für ihre Ziele und der Enkelfähigkeit unseres Planeten übernehmen würde.
Ich frage mich: Wenn es schon in Deutschland nicht möglich ist, die mächtigen kapitalistischen Lobbyinteressen der Industrie und die Machtbegierden der Parteien zugunsten eines übergeordneten Zieles in den Hintergrund zu stellen – wie soll das dann erst auf EU-Ebene gelingen, wo noch deutlich mehr Interessen versuchen, das größte Stück vom Kuchen abzubekommen? Für neue Lösungen müssen wir zukünftig auch über ein neues institutionelles Design nachdenken.
Besser Wirtschaften – selbst aktiv werden
Um die Probleme der Zukunft zu lösen, müssen wir schneller handeln und Verantwortung übernehmen – auf unternehmerischer Ebene und als Individuen. Wir dürfen nicht darauf warten, dass sich Politiker und Interessensverbände auf faule Kompromisse einigen. Nur, wenn es Unternehmen gelingt, globale und drängende Probleme zu lösen, können sie auch ihre eigene Zukunft und damit die unserer Wirtschaft nachhaltig sichern.
Nur wenn wir als Individuen unser Verhalten ändern, werden wir zu Vorbildern für mehr Gemeinwohl und Klimagerechtigkeit.
Schon heute gibt es großartige Vordenker, innovative Bewegungen, Unternehmer und Investoren, die nachhaltiges Wirtschaften beweisen, die Social Business fördern und auf sozial, ökologische und ökonomische Finanzierungsmodelle setzen. Es sind Vordenker und Kopföffner, die mutige Schritte voran gehen und wichtige Zukunftsideen umsetzen. Es gelingt ihnen so, sowohl die eigene Zukunft als auch die des Planeten im Blick zu haben und positiv zu beeinflussen. Einige dieser Unternehmen und Ideen stelle ich im Folgenden kurz vor.
Kreislaufwirtschaft muss Linearwirtschaft ablösen
Die Kreislaufwirtschaft basiert auf dem Prinzip „Cradle to Cradle“. Statt linearem „Take, Make, Waste“ müssen wir die Wiederverwendung und Wiederverwertung „Make, Use, Return“ von Ressourcen und Produkten durch Materialgestaltung und Geschäftsmodellen aktiv fördern. So entstehen weniger Abfall, bessere Ressourcenverwertung und weniger Ausschuss. Reparatur, Recycling und Aufarbeitung werden durch Design und Wartung erleichtert.
Ein Kopföffner der Kreislaufwirtschaft wurde 2019 mit dem Deutschen Umweltpreis geehrt: Reinhard Schneider, Chef von Werner & Mertz (1050 Mitarbeiter, 440 Mio. EUR Umsatz), findet als Mittelständler in der Wasch- und Reinigungsmittelbranche seit Jahren nachhaltige Lösungen und setzt diese konsequent um. Wir alle kennen die Marken Frosch oder Erdal seit vielen Jahrzehnten. Für Spülmittelflaschen wird dort kein „frisches“ Erdöl verwendet, sondern Altplastik aus dem Gelben Sack. Und als Tenside, also als waschaktive Substanzen, nicht Erdöl, Palmkern- und Kokosöl, sondern zunehmend heimische Ölpflanzen wie Raps oder Flachs. Das Unternehmen hat konsequent ökologische Produkte in einem Massenmarkt mehrheitsfähig gemacht und lebt Nachhaltigkeit in allen unternehmerischen Entscheidungen.
Social Business: zwei vermeintlich konträre Dinge miteinander verbinden
Muhammad Yunus, „banker of the poor“, hat seit Mitte der 1980er-Jahre mit Mikrokrediten die Ärmsten der Armen zu Gründern gemacht, damit sie sich selbst versorgen können. Sein unternehmerisches Modell für das er 2006 den Friedensnobelpreis erhalten hat zeigt: Es ist möglich, die Armut zu bekämpfen, Menschen zu befähigen, ihre Situation eigenständig zu verbessern und damit Geschäfte zu machen. Muhammad Yunus ist ein Vorbild für die Gesamtwirtschaft: Unternehmerischer Erfolg entsteht durch den gesellschaftlichen Beitrag von Unternehmen zur Bekämpfung sozialer Ungleichheit und drängender Probleme wie dem Klimawandel. Sozial verantwortlich und wirtschaftlich erfolgreich funktioniert. Auch traditionelle Unternehmen wie Danone, BASF, Unilever, Bosch und nun auch VW haben sich auf den Social Business Weg gemacht und profitieren bereits von ihrem Engagement. Ein wichtiger Schritt, um Ökologie und Ökonomie zu vereinen und besseres Wirtschaften zu beweisen.
Besser wirtschaften – nur mit nachhaltiger Finanzierung
Getrieben werden muss die Neuausrichtung des Wirtschaftens durch wirkungsvolle Hebel auf der Finanzmarktseite – wie das auch dieses Jahr wieder Blackrock-CEO Larry Fink, Chef des größten Vermögensverwalters der Welt fordert. Zahlreiche institutionelle Investoren beziehen ESG-Bewertungen (Environmental, Social, Global) in ihre Entscheidungsfindung für Investments oder Finanzprodukte (ETFs, Fonds, Rentenpapiere) ein. Voraussetzung dafür ist eine klare Transparenz darüber, welche sozialen und ökologischen Kosten Finanzprodukte und Investitionen tatsächlich verursachen und welche Ausschlusskriterien den Anlagen (zum Beispiel Investitionen in fossile Energieträger wie Kohle oder Öl, aber auch in Beachtung der Menschenrechte) zu Grunde liegen.
Auch Anleger und Verbraucher legen zunehmend Wert auf nachhaltige Finanzprodukte und ethische Banken – sie entscheiden nicht mehr allein nach Gewinnaussichten, sondern vor allem danach, ob die Unternehmen, in die sie investieren, einen Mehrwert für die Gesellschaft liefern.
Die ethischen Banken in Deutschland erleben seit Jahren kontinuierlichen Zulauf neuer Kunden, die sich durch ihr Finanzverhalten für eine enkelfähige Gesellschaft einsetzen.
Wie verändert sich die Welt der Arbeit?
Unsere persönliche Werteorientierung wollen wir auch im Job verwirklichen: Purpose, also Sinn, steht für viele ganz oben auf der Liste der Punkte, die sie am Arbeitsplatz suchen. Wir brauchen eine Vision, ein gemeinsames Ziel, einen gemeinsamen Purpose auf den wir hinarbeiten, um all unsere Kräfte zu mobilisieren. Diese Entwicklung geht nun Hand in Hand mit den unternehmerischen Leitbildern, die sich zunehmend wandeln – und sicher ist die Forderung nach Purpose von Seiten der (potenziellen) Mitarbeiter auch ein wichtiger Treiber für den Wandel im unternehmerischen Denken.
Ein noch kleiner Teil der Startup-Szene macht es vor: Rund ein Drittel der für den Deutschen Startup Monitor 2019 befragten Gründer rechnet sein Produkt oder seine Dienstleistung dem Sektor „Green Economy“ zu. Wir sehen global großartige Technologien von einer neuen Gründergeneration, die mehr will als die Digital Heroes der letzten zwei Jahrzehnte. Dennoch gibt es noch zu viele Gründer, die Lösungen schaffen, für die es keine Probleme gibt, die auf schlichte Wohlstandsoptimierung ausgerichtet sind und nicht die wirklichen Probleme der Welt lösen.
Ich behaupte 50-60% der Services- und Produkte die in der Start Up Welt entstehen braucht kein Mensch und lösen keine Probleme, im Gegenteil, existierende werden dadurch verstärkt.
Auf der To-Do-Liste verantwortungsvoller Gründer ganz oben: mehr Einsatz für Umweltschutz und gesellschaftliche Nachhaltigkeit. Bei substantiellen Startups gehört es zur Routine, den Purpose zu definieren. Und zwar sowohl bei der Neugründung als auch in entscheidenden Phasen wie Wachstumsschüben oder bei Personalveränderungen. New Work ist dabei häufig Teil der Philosophie – auch und vor allem, wenn es darum geht, Haltung und Werte zu definieren. Zudem ist Purpose ein entscheidender Faktor bei der Personalgewinnung: Menschen wollen auch im Arbeitsumfeld ihre Wertvorstellungen leben und umsetzen, sie wollen selbstbestimmt arbeiten und nicht in Unfreiheit, Abhängigkeit und Fremdbestimmung geraten.
In der Gesamtwirtschaft und in großen am Kapitalmarkt gelisteten Unternehmen fehlen solche Ziele häufig. Dort wird primär für den Shareholder und nicht für die Stakeholder gearbeitet: Im Vordergrund steht die kurzfristige Rendite und Gewinnmaxierung – nicht der Nutzen für Kunden, Mitarbeiter, Gesellschaft oder des Planeten. Die Diskussion die Siemens aktuell in den Medien erfährt zeigt deutlich was einzig und allein für den Vorstand im Vordergrund steht. Haben Alstom und Hitachi den Auftrag für die Signaltechnik an der Kohlemine Adani in Australien vor Siemens aus moralischen Gründen bereits abgelehnt und sich nicht an dem Projekt beteiligt, hat Siemens trotz aller Aufschreie aus der Bevölkerung dem Auftrag zugestimmt.
Der verheerende Raubbau an planetaren Ressourcen geht meist einher mit der Höhe der Kapitalisierung. Eine Haltung, die langfristig weder den Mitarbeitern noch den Unternehmen nützt.
Auch wenn schon viele Kopföffner vorangehen, brauchen wir in Deutschland noch mehr mutige CEOs, die führen und vorangehen, die die 17 SDGs in unternehmerische Lösungen umsetzen, die sichtbar sind und sich trauen anzuecken. CEOs, die ihre Meinung für Soziales, für die Gesellschaft und unseren Planeten vertreten und eine Geschichte zu erzählen haben.
Aber wir brauchen sie, um über das Mittelmaß hinauszuwachsen. Dass wir das können, haben wir schon bewiesen: Nach dem Zweiten Weltkrieg haben wir das Land wiederaufgebaut und Westdeutschland zur drittgrößten Volkswirtschaft der Erde wachsen lassen. 1989 gelang es den DDR-Bürgern durch ihr gemeinsames Ziel „Wir sind das Volk“, in Freiheit selbstbestimmt zu leben, ein autokratisches System und eine Mauer, die das Land in zwei Hälften teilte, zu Fall zu bringen. Was ist der Purpose von Deutschland heute? Die Frage konnte mir bisher noch niemand beantworten.
Für mich ist das große Ziel die globale Agenda 2030. Die darin verankerten 17 SDGs (Nachhaltigkeitsziele) der Vereinten Nationen haben 193 Staaten der Welt unterschrieben und sich verpflichtet diese umzusetzen. Die 17 SDGs beinhalten alles, was wir auf der Welt zu lösen haben, wenn wir den Planeten retten wollen. Für jedes Land, für jedes Unternehmen und für uns als Individuen.
Wir haben noch rund acht Jahre Zeit, irreparable Schäden zu vermeiden. Danach ist es zu spät. Gelingt uns als Gesellschaft und als Volkswirtschaft wieder ein Aufbruch? Ich hoffe es sehr. Viele Chancen haben wir nicht mehr. Denn der Erde ist es egal ob wir sie retten.
Wir entscheiden, welchen Planeten wir den nächsten Generationen übergeben. Lasst uns Wirtschaft gemeinsam enkelfähig machen.
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