Wo bleibt der Mensch, wenn seine Arbeit digital wird? Was bleibt für ihn und vor allem von ihm übrig, wenn Computer und KIs mit seinen geistigen Fähigkeiten konkurrieren und maßgebend Tätigkeits- und Kooperationsformen verändern? Was braucht es, dass auch digitalisierte Arbeit menschenwürdig bleibt?

Immerhin ist Arbeit, soweit sie sich überhaupt auf einen Begriff bringen lässt, eine vom Menschen ausgehende, zweckgerichtete Tätigkeit, die genau deshalb zuallererst seinen Zwecken dient. Gewissermaßen hat der Mensch die Arbeit erfunden, um seine, wie der Philosoph Herbert Marcuse den Anstoß dazu nennt, Lebensnot zu überwinden. Erst auf gesellschaftlicher Ebene wird Arbeit zur Institution; hinzu kommt hier der Zweck, Verhältnisse zu schaffen, in denen die Einzelnen ihre Zwecke leichter verwirklichen können; indem sie kooperieren, die Arbeit teilen und füreinander tätig sind; mittelbar oder unmittelbar und schließlich in Form von Erwerbsarbeit.

Eine Frage der Würde

Dieses einfache Arbeitsverständnis ist der Digitalisierung näher, als man meint. Jetzt teilen sich eben nicht mehr nur Menschen und Maschinen die Arbeit, auch Computer und KIs packen mit an. Dadurch wird manches einfacher und profitabler, zugleich entstehen neue Möglichkeiten. Digitalisierte Arbeit will und soll effizient und transparent, agil und flexibel, mobil und innovativ, kreativ und selbstbestimmt sein. Und hier kommt die menschliche Würde ins Spiel.

Tatsächlich hat digitalisierte Arbeit, was den Menschen angeht, genauso viel inklusives wie exklusives Potenzial: Je nach Organisation können Markt oder Mensch sich hier verwirklichen, d. h. die Digitalisierung für sich und ihre Zwecke arbeiten lassen. Wenn die Verwirklichung des Einen die des Anderen nicht ausschließen soll, müssen wir im Wandel von Arbeit auch danach fragen, was die Digitalisierung für die Forderung nach menschenwürdiger Arbeit bedeutet. Die Frage der Würde rückt in den Fokus, weil Arbeit längst nicht mehr nur ökonomisch, sondern auch normativ beansprucht wird; weil wir sehen, dass sie für unsere Lebensführung in verschiedener Hinsicht bedeutsam ist und wir sie entsprechend gestalten wollen. So lassen sich digitalisierte Arbeit und ihre Tätigkeits- und Organisationsformen vor einem zeitgemäßen Verständnis davon, was menschenwürdige Arbeit ausmacht, ganz anders bewerten.

Wann ist arbeit menschenwürdig?

Nach der Definition der International Labour Organization (ILO) ist menschenwürdige Arbeit „[…] produktive Arbeit, bei der die Rechte geschützt sind und die ein angemessenes Einkommen bei angemessenem Sozialschutz bietet. Sie bedeutet auch ausreichende Arbeit, und zwar in dem Sinn, dass alle uneingeschränkten Zugang zu Erwerbsmöglichkeiten haben sollten“.

Diesem Verständnis nach ist es also eine Forderung menschlicher Würde, dass uns Zugang gewährt wird zu einer rechtlich geregelten Tätigkeit, durch die wir uns als wirtschaftlich und gesellschaftlich produktiv begreifen können;  die uns in die Lage versetzt, unseren Lebensunterhalt und unsere Lebensführung zu bestreiten, was unbedingt auch Gesundheitsschutz einschließt, und durch die wir den Anspruch auf darüber hinausgehende soziale Absicherung erwerben, weil wir nicht nur für uns, sondern auch für andere tätig sind.

Wenn wir an menschenunwürdige Arbeit denken, haben wir völlig zurecht Bilder von Kinderarbeit zur Zeit der Industrialisierung vor Augen; oder es kommen uns asiatische Textilfabriken, südamerikanische Kaffeeplantagen und afrikanische Kobaltminen in den Sinn. In deutschen Coworking Spaces mit Kickertisch und Pausenyoga würden wir menschenunwürdige Arbeit wohl eher nicht vermuten, aber die ILO-Definition sollte uns veranlassen, hier unbedingt zu differenzieren.

Wie würdig ist uns NewWork?

Tatsächlich hat die Digitalisierung die Gestaltung und Organisation von Arbeit so verändert, dass diese von der ILO festgehaltenen Forderungen menschenwürdiger Arbeit gerade in den wirtschaftlich besonders starken Arbeitsgesellschaften nicht mehr zuverlässig erfüllt werden; wenn auch freilich in ganz anderer Qualität als in vielen wirtschaftlichen Entwicklungs- oder Schwellenländer, aber aus unserer Innenperspektive durchaus prekär. Denn: Faktisch fördern immer mehr Unternehmen und begrüßen immer mehr Arbeitende Arbeitsformen, die diese Standards unterlaufen. Die Würde ist vielleicht nicht aus der Mode, wohl aber aus dem Blick geraten.

Die Imperative des wirtschaftlichen Handelns sind heute Flexibilität, Effizienz, Innovativität, die von gelingender Lebensführung Individualität und Selbstverwirklichung. Deshalb betonen wir in den neuen Arbeitsformen unsere Freiheit zu und verschweigen die Freiheit von: Der Einsatz von Freelancern, Clickworkern, Scheinselbständigen, Minijobbern oder Leiharbeitern ist für Unternehmen attraktiv, die agil wirtschaften, flexibel auf Auftragslagen reagieren und Personal- und Qualifizierungskosten senken wollen und müssen, zugleich entsprechen diese Beschäftigungsformen dem Wunsch vieler Arbeitender nach Selbstbestimmung und Mobilität. Was hier oft fehlt, sind je nach Branche eine angemessene Bezahlung, Sozialschutz (etwa durch Sozialversicherungspflicht), echte Zusammenarbeit und das Erleben der eigenen Produktivität, ein Resonanzraum für persönliche Entwicklung oder Ressourcen für Qualifizierung. Wo wir ständig erreichbar sind und sich uns neue Anforderungen und Aufgaben stellen, während wir noch dabei sind, die alten zu erledigen, kann Arbeit krank machen.

Probleme wie diese werden als Herausforderungen digitalisierter Arbeit und als Kehrseite des neuen Sinnanspruchs inzwischen häufiger diskutiert; hier die Forderung nach menschenwürdiger Arbeit hinzuzunehmen unterstreicht, wie dringend diese Debatte geführt werden muss und lenkt sie zugleich in eine neue Richtung, die sie die veränderten Ansprüche an Arbeit überhaupt erst aufnehmen lässt. Wo wir in Arbeit nämlich Sinn und Selbstverwirklichung suchen und beides als Grundbedürfnis begreifen, meinen wir ganz ausdrücklich auch unsere Würde; das hat ein zeitgemäßes und kritisches Verständnis menschenwürdiger Arbeit unbedingt zu integrieren.

Selbst-Achtung und -Verwirklichung

Aus unserer Würde nämlich, so zeigt der Philosoph Ralf Stoecker, leiten wir das unverbrüchliche Recht zur Erfüllung unserer Grundbedürfnisse ab, wozu unbedingt auch Selbst-Achtung, also die Achtung unseres Selbst durch uns und durch andere, und dann auch Selbstverwirklichung zählen. In diesem Sinne ist Arbeit ihrer Anlage und ihres Zwecks nach dazu angetan, ein würdevolles Leben einzurichten und zu tragen, weil sie unser Selbst anerkennungsfähig nach außen kehrt und außerdem die Ressourcen zur Verfügung stellt, an ihm festzuhalten. Das sind nicht nur materielle und soziale Ressourcen, sondern in einer Arbeitsgesellschaft auch Anerkennung und soziale Integration. Dafür muss Arbeit entsprechend gestaltet und organisiert sein – und gerade dann kann sie als bindende, zweckgerichtete Tätigkeit unserem Sinnanspruch gerecht werden.

Menschenwürdige Arbeit als Arbeit, die unserem Selbstverständnis als Menschen entspricht, ist gefragter denn je; und wenn wir uns das auch begrifflich bewusst machen, können wir leicht sehen, wie digitalisierte Arbeit als menschenwürdige Arbeit zu gestalten ist.

Die arbeitsorganisatorische Hardware einer menschenwürdigen Digitalisierung

Die größte Herausforderung ist sicher der drohende Wegfall von Arbeitsplätzen, denn wie gezeigt ist die Möglichkeit des Zugangs zu Erwerbsarbeit und sozialer Absicherung in der Arbeitsgesellschaft eine unbedingte Forderung eines würdevollen Lebens. Ob die Digitalisierung Arbeitsplätze kosten wird, lässt sich gegenwärtig nicht sagen; verschiedene Studien kommen vor dieser Frage zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen und einige prognostizieren sogar, dass eine beschleunigte Digitalisierung zu einem Beschäftigungsanstieg führen wird.

Einig ist man sich darin, dass einfachere und Routinetätigkeiten künftig mehr und mehr durch Computer erledigt werden, zugleich werden die Anforderungen und Aufgaben, denen sich der Mensch zu stellen hat, immer komplexer. Beschäftigungsfähigkeit, Innovationskraft und Standortsicherung hängen deshalb von fortlaufender beruflicher Qualifizierung ab. Damit wird sie zum Element menschenwürdiger Arbeit, weil sie im Wandel von Arbeit Erwerbsarbeit sichert.

Zugleich bedeutet Qualifizierung dann persönliche Weiterentwicklung und Digitalisierung Entlastung  hin zu Selbstverwirklichung: Wenn Computer und KIs Routinetätigkeiten mit wenig Bildungs- und Entwicklungspotenzial oder gesundheitsgefährdende Arbeiten übernehmen, entsteht Raum für Tätigkeiten, in denen Arbeitende wirken und sich weiterentwickeln können, durch die sie Anerkennung und Selbst-Achtung erfahren.

Arbeit darf nicht rationalisiert werden

Wo Digitalisierung aber auch heißt, mit Hilfe neuer Technologien Arbeit und Zusammenarbeit anders zu organisieren, muss das menschliche Grundbedürfnis nach Kommunikation und durchschaubarer Kooperation als echter Teilnahme und Teilhabe in den Fokus menschenwürdiger Arbeitsorganisation rücken. Arbeit darf nicht rationalisiert und in dem Maße subjektiviert sein, dass Arbeitende ihren Beitrag nicht sehen oder das Ziel ihres Tuns nicht mehr durschauen, sich damit nicht mehr identifizieren können; gerade in dieser Hinsicht konterkariert die heute oft kleinteilige, projektierte Arbeitsorganisation den Sinn- und Selbstverwirklichungsanspruch.

Dabei wird gerade jetzt, wo  Individualität in den Vordergrund rückt, Wirken möglich, insbesondere deshalb, weil der digitale Wandel neue und andere Kompetenzen fordert, etwa kritisches Denken, Kreativität oder komplexe Problemlösefähigkeiten. Das wirft Arbeitende im positiven Sinn auf sich selbst zurück und ermöglicht dann Selbst-Achtung, nur darf diese Subjektivierung von Arbeit, d. h. die Nutzung subjektiver Potenziale, die Grenze der Selbst-Achtung eben nicht überschreiten. Wo persönliche Kompetenzen abgefragt und genutzt werden, müssen sie sich auch entwickeln und schützen dürfen.

Menschenwürdige Arbeit

Nur auf den ersten Blick wird unser Verständnis menschenwürdiger Arbeit durch die Digitalisierung anspruchsvoller; auf den zweiten Blick wird es klarer und als verbindliche Grundlage von Arbeitsorganisation verständlich. Die Digitalisierung kann menschenwürdige Arbeitsgestaltung unterminieren, aber sie kann sie genauso gut auch ermöglichen: Indem sie gerade durch neue Kooperations- und Tätigkeitsformen und den Einsatz vom Computern die genuin menschlichen Potenziale zum Vorschein bringt und Verwirklichungsräume schafft. Wo sie Offenheit ermöglicht, darf dies nicht Unsicherheit bedeuten, sondern Agilität angesichts sich ändernder Herausforderungen und möglicherweise das Zurücktreten von Prinzipien, wo das Ziel der Arbeit – und das ist zuallererst der Mensch – sonst verfehlt würden. Dafür braucht es so etwas wie eine gezähmte Rationalisierung, die Arbeit und Tätigkeiten genau nur so stark rationalisiert, dass Arbeitende darin ihren genuin menschlichen Kompetenzen und Ansprüchen – also ihrer menschlichen Würde entsprechend – wirken können.

Adrian Sonder schrieb an dieser Stelle, dass der Mensch im Mittelpunkt der digitalen Transformation stehen muss, und zwar deshalb, so füge ich hinzu, weil der Mensch nicht nur im Mittelpunkt von Arbeit steht, sondern das Erfüllen seiner Grundbedürfnisse ihr Zweck ist. Rein begrifflich ist Arbeit also nur dann Arbeit, wenn sie menschenwürdig ist. Dahinter dürfen wir nicht zurück.

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