Mit Kreativität, hohem Tempo und gleichzeitig festen Ressourcen sowie Fachwissen neue Geschäftsmodelle evaluieren, Prozesse gestalten und Innovationen anstoßen –  so war meine Vorstellung. Klar, als ich das Angebot zum Aufbau eines internen Startup bekam, war ich sofort dabei. Intrapreneurship hieß das Zauberwort, das vor zwei Jahren dazu geführt hat, dass ich meine Pläne über den Haufen warf, meine Stelle im Konzern sausen ließ und mich voll auf das Abenteuer fokussierte.

Zwei intensive Jahre später kann ich sagen: Die Realität ist weit weniger dynamisch, als ich es mir erhofft habe. Corporate Startups können sich von innen schnell anfühlen wie ein internes Projekt mit langsamen Prozessen, vielen Unsicherheiten und hohem Frustpotenzial. Dennoch kann ich nur jedem empfehlen, diese Erfahrung zu machen. Keine Rolle ist abwechslungsreicher und das Beste ist: man ist endlich an allem selbst schuld.

Die Anforderungen waren eigentlich von vornherein in sich widersprechend. Als Intrapreneur soll man ein Unternehmen gründen wie ein Entrepreneur. Doch natürlich ist das eine ganz andere Aufgabe innerhalb der Strukturen einer Corporate Neues zu schaffen, als wenn dies auf der grünen Wiese geschieht. Viele der Herausforderungen wären uns sonst so nicht begegnet:

Konzeption –  „Hundefutter für die Liebsten!“

Als Corporate Startup ist der größte Vorteil, den Investor, Inkubator und Kunden nahe bei sich zu haben – und wenn man ganz ehrlich ist, ist das auch der größte Nachteil. Es gibt eine brutale Transparenz. Doch hätten wir diese Herausforderung nicht als Chance wahrgenommen, hätten wir bereits den größten Mehrwert verspielt.

“Dogfooding” heißt es im Englischen und bedeutet, dass die Kollegen das neue Produkt durch Eigennutzung mit testen. Das daraus entstehende Feedback ist sehr direkt und daher besonders wertvoll. Der erste interne Pitch, bei dem die Kollegen Fragen, Ideen und Anmerkungen anbringen können, trainiert garantiert für jeden kritischen Kunden.

Für die nutzerzentrierte Entwicklung ist das ehrliche Feedback der Kollegen wahrer Goldstaub. Aber in der Praxis war das nicht immer konstruktiv. Die einzige Antwort auf “Was macht ihr eigentlich für einen Quatsch?” ist aber jetzt “Vielen Dank für dein Feedback. Gerne mehr davon! Welchen Quatsch meinst du genau?” Denn man spricht nicht mehr nur mit einem Kollegen, sondern gleichzeitig mit dem Investor und ersten Kunden.

Wissenstransfer – kritisieren was man liebt

Als Intrapreneurin habe ich enorm von den Erfahrungen des Unternehmens profitiert. Ein gefülltes Portemonnaie ist wichtig – ein gefülltes Adressbuch aber mindestens genauso. Egal welche Frage ich habe, im unmittelbaren Umfeld finde ich eine professionelle Antwort. Die Corporate wird zum Inkubator, in dem ich ein individuell zugeschnittenes Bootcamp durchlaufen kann. Das ist enorm hilfreich, weil die Kollegen persönliche Erfahrungen teilen, die in keinem Wiki stehen. Ich konnte so ein neues Verständnis dafür entwickeln, welches Wissen innerhalb der Organisation vorhanden ist.

Doch genau in diesem Wissenstransfer liegt die Gefahr, die gewohnten Prozesse und Strukturen einfach zu übernehmen, oder Entscheidungen in deren Sinne zu treffen. Eine Falle, in die wir direkt getappt sind. Eine Technologieentscheidung im Sinne der Corporate kostete uns Monate. Wir mussten darauf alle etablierten Prozesse und Strukturen innerhalb des Unternehmens anzweifeln, was nicht zur Begeisterung der Kollegen beigetragen hat.
Ein Startup ist disruptiv und nicht optimierend. Das führt nicht dazu, dass die Kollegen motiviert sind, das Startup zu unterstützen. Sie sollen die Innovation mit ihrer Arbeit finanzieren, ihr Wissen transferieren – und im Anschluss wird ihre Arbeitsweise angezweifelt.

Zwei Strukturen und Denkweisen innerhalb derselben Organisation, teilweise sogar in einer Person abzubilden, ist kaum umsetzbar. Irgendwann war ich mir nicht mehr sicher, ob das eigene Unternehmen der richtige Partner ist. Eine sehr schwierige Situation für alle Beteiligten. Das Unternehmen ist gleichzeitig wichtigster Grund und größtes Hindernis des Startups. Das kann einem den größten Vorteil rauben: Die Offenheit, voneinander zu lernen.

Der Dialog fasst es perfekt zusammen:

Startup: “Lass mal was Neues machen.”
Corporate: “Halte dich an den Prozess.”
Startup: “Aber wie geht der?”
Corporate: “Den gibt es nicht.”

Das neu erlangte Wissen ist einer der großen Mehrwerte des Intrapreneurships. Diesen Wissenstransfer zu gewährleisten ist jedoch strukturell und kulturell die größte Herausforderung. Der erste Impuls ist es, das Team einfach auszugliedern. Bestimmt die einfachere und für mich als Intrapreneurin vielleicht sogar empfehlenswerte Variante. Doch Intrapreneurship ist für mich eine Form von Research and Development. Diese “Forschungsergebnisse” sollte kein Unternehmen einfach außerhalb der Strukturen aufbauen und so ggf. ignorieren.

Strukturen – im Schutzraum aus dem Nest geworfen

Intrapreneurship war auch für mich persönlich ein unterschätztes Risiko. Wie bei allen Startups ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es scheitert – nur ist der Druck von Außen sogar noch größer und der mögliche Erfolg kleiner.

Man verlässt den regulären Karrierepfad, der Stresspegel steigt und die Zukunft ist ungewiss. Zudem denken die Kollegen, der Job würde nur aus Spaß, Dachterassen und Networking Parties bestehen, was im direkten Widerspruch zum gleichzeitig erwarteten enormen Ehrgeiz steht.

Es ist eine konstant ambivalente Rolle. Man handelt wie ein Gründer, ist aber schlicht keiner. Eigentum und Unternehmertum sind deutlich getrennt. Intransparente Gründe aus der Corporate können jederzeit zur Beendigung führen. Auch bei gravierenden finanziellen Entscheidungen habe ich wenig Handhabung, sodass die Illusion des Entrepreneurships schnell an Grenzen stößt. Um dennoch die Motivation voll entwickeln zu können, bedarf es eines Schutzraums. Neben der fundamentalsten Form wie Budget und Zeitrahmen, haben wir zusätzlich eine optische, strategische und räumliche Trennung vorgenommen.

Durch die Trennung war es für beide Seiten leichter zu reflektieren, welchen eigenständigen Reifegrad das Startup derzeit hat. Ein wichtiger Pfeiler, um auch Erfolg zu messen und Vertrauen in das Startup zu gewinnen.

Motivation – individuell in der Masse

Motivation kommt häufig von Identifikation. Selbstwirkungsgrad und Transparenz sind daher mit die motivierendsten Faktoren.

Für uns als Team war es enorm motivierend das übergeordnete Ziel, den s.g. Purpose, eigenständig zu entwickeln. So können wir auch bei Fehlschlägen hinter unserer Idee und somit hinter dem Startup stehen. Es hat aber auch in den operativen Prozessen große Vorteile. Die Transparenz schafft nicht nur Verständnis bei Entscheidungen, sondern auch das Vertrauen, dessen es bedarf, um die unzähligen Changeprozesse gemeinsam zu bewältigen. Veränderung ist in einem Startup gleichbedeutend mit Entwicklung und somit fast die einzige Konstante.

Motivation kann in einem Startup nur von den Kollegen selbst kommen. Wer eine Absolution benötigt (“Wenn mich jemand fragt, sag ich nicht nein.”) oder defizitär handelt (“Ich mag mein altes Team nicht mehr, deswegen wäre ich gerne in dem Startup.”) widerspricht direkt dem benötigten Mindset. Nach dem ersten Pitch haben wir schnell gemerkt, wer mit uns gemeinsam den eigenverantwortlichen Weg gehen möchte, oder wer vielleicht nur nicht mehr in der Corporate sein möchte.

Das Team – spezialisierte eierlegende Wollmilchsau

Die Auswahl der Kollegen, die für das Startup in Frage kamen, war ebenfalls komplett anders, als wir es gewohnt waren. Im Gegensatz zu den Spezialisten einer Corporate ist unser Alltag geprägt von s.g. “T-shaped”-Skills. Das heißt, neben den Kernkompetenzen ist ein sehr breit gefächertes Spektrum an Fähigkeiten gefragt. Alle Fähigkeiten und Kompetenzen, die die Kollegen entwickelt haben (auch privat), können und sollen ganzheitlich eingebracht werden. So verdanken wir dem Designinteresse unseres Qualitätsmanagers unser erstes Logo und dem Verständnis für Organisationsentwicklung unser Usablity Designerin einen der erfolgreichsten Blogbeiträge.

Mindset – im Analogen digital

Das Wichtigste ist aber das s.g. “Digital Mindset”. Damit ist nicht nur ein technologisches Verständnis gemeint, sondern agil auf sich ändernde Situationen zu reagieren und neugierig zu sein. Weder Aufgaben noch Wissen werden in einer digitalen Welt zugeteilt. Bei uns sind alle Mitglieder “Prosumenten der Arbeit”, die Arbeit schaffen statt Arbeitsaufträge zu konsumieren. Die Aufgaben ändern sich von Push- zu Pulltask ohne, dass sie durch Hierarchien zugewiesen werden. Es gibt keinerlei externe Absolution oder Motivation.

Es ist immer die eigene Verantwortung und das eigene Risiko. Gefragt sind aktiv gestalterische Fähigkeiten, die einem sonst in Unternehmen häufig abtrainiert werden. Daher konnte die Auswahl unmöglich nach denselben Maßstäben erfolgen und mussten ebenfalls komplett neu entwickelt werden.

Führung – Halt ohne festzuhalten

Die Führung der Corporate ist der entscheidende Faktor. In dieser Rolle werden all diese widersprüchlichen Anforderungen der Organisationen teilweise in einer Person vereint. Trotzdem muss die Person sehr klar kommunizieren. Letztendlich ist eine Intrapreneurship-Unternehmung hier auch für die Führungsriege eine gute Möglichkeit zur Weiterentwicklung.

Selbst wenn sämtliche Impulse intrinsisch von uns Kollegen kommen, können wir diese nur einbringen, wenn das Unternehmen ein entsprechendes Umfeld mit passender Kultur bietet. Einen Nährboden auf dem gefördert wird Dinge auszuprobieren, auch wenn das bedeutet Fehler zu machen.

Wenn die Führung der Corporate sich nicht als Kontrollinstrument sondern als Beratung versteht, die Freiräume schafft, setzt das enorme Kräfte frei. Dass wir uns als Startup unsere Ziele eigenständig gesetzt haben, hat bspw. ein größeres Commitment entstehen lassen.

Dieser Wandel ist bereits die erste große Innovation, die Intrapreneurship dem Unternehmen bringen kann. Die strukturellen Annäherungen im Management von Corporate und Startup sind die beste Basis dafür, dass beide Organisationsformen auch zukünftig zusammen kooperieren und vom Erfolg des Startups profitieren können.

Schwierigkeiten lieben

Egal ob man ein Corporate Startup innerhalb oder außerhalb der Unternehmensstrukturen aufbaut: Intrapreneurship ist eine Herausforderung für alle Beteiligten. Dennoch kann ich mir keinen besseren Job vorstellen. Kaum eine Aufgabe ist so abwechslungsreich und lehrreich. Es ist eine besonders effektive Form des Learning by Doing, da man direkt weiß warum man etwas lernt und welche Auswirkungen sich daraus ergeben. Auch für das Unternehmen ist es eine besondere Erfahrung. Besonders diejenigen, die denken sich am besten auszukennen, werden am meisten überrascht sein welche unsichtbaren Barrieren sich aufgebaut haben oder auch  welches Wissen bereits in der Organisation vorhanden ist.

Für uns als Startup-Team hat sich eine enorme Dynamik entwickelt. Internes Gründen nimmt die Intensität aus der sensiblen Gründungsphase, ohne dabei den Nervenkitzel zu verlieren. Entscheidungen können mit Druck, aber ohne Angst und historischen Ballast gefällt werden. Eine Luxussituation, die mir neue Perspektiven ermöglicht.

Auch wenn die Rolle wesentlich fordernder ist, fühlt es sich nicht so an. Vielmehr steht das Gefühl im Vordergrund sich endlich ganzheitlich einbringen zu können. Das Beste aber ist: Das Gemecker ist weg. Für jede meiner Handlungen bin ich selbst verantwortlich und kann sie niemanden in die Schuhe schieben. Denn beim Intrapreneurship gibt es nur eine Person, die dafür verantwortlich ist, ob der Job mich erfüllt oder nicht – und das bin ich selbst.

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Bei dem Startup im Unternehmen handelt es sich um talee – zu finden unter www.talee.de und auf Twitter unter @taleeNetWork

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