….Fortsetzung aus der letzten Woche
So hinterlässt die Studie von Frey und Osborne den Eindruck, dass kaum ein Arbeitnehmer künftig vor Arbeitslosigkeit durch Automatisierung sicher ist. Langfristig womöglich selbst die Angehörigen von Berufsgruppen, deren Tätigkeiten so komplex erscheinen, dass sie bis dato nicht annähernd von Computersystemen übernommen werden können. Das nährt verständlicher Weise Unruhe und in Teilen auch Panik. Aber wie verlässlich und aussagekräftig sind diese Prognosen tatsächlich?
Im Auftrag des Arbeitsministeriums hat 2015 eine Forschergruppe um Professor Holger Bonin vom ZEW in Mannheim die Studie von Frey/Osborne in einer Kurzexpertise auf Deutschland übertragen. Sie gelangt zu deutlich moderateren Einschätzungen.
Analyse von Tätigkeiten
Wegen der Vergleichbarkeit der Daten wählen die Autoren eine Analyse von Tätigkeiten und nicht von Berufen. Im Ergebnis arbeiten in Deutschland nicht 47 sondern 42 Prozent der Beschäftigten in Berufen, die nach Frey und Osborne mit einer hohen Wahrscheinlichkeit in den nächsten 10 bis 20 Jahren automatisierbar sein werden.
Berücksichtigt man aber, dass Berufe meinst nicht vollständig automatisierbar sind, einzelne Tätigkeiten dagegen schon, hieße das nach ZEW für Deutschland, dass nur 12 % der Beschäftigten durch Automatisierung betroffen sind.
In absoluten Zahlen unterliegen demnach nicht 18 Millionen sondern nur 5 Millionen Jobs einem umfassenden Automatisierungsrisiko. Und vorwiegend, das zeigen die Analysen, sind Geringqualifizierte und geringverdienende Beschäftigte stärker durch die Automatisierung gefährdet.
„Die Beschäftigten mit den 10 % geringsten Einkommen (<10%) stehen in Deutschland beispielsweise einer 61-prozentigen Automatisierungswahrscheinlichkeit gegenüber. Bei den 10% Beschäftigten mit den höchsten Einkommen (90%-100%) beträgt die Automatisierungswahrscheinlichkeit lediglich 20 %.“ Bonin 2015 (S. 23)
Laut der ZEW-Studie überschätzen Frey und Osborne das technologische Automatisierungspotenzial vieler Tätigkeiten. Den Grund hierfür liege darin, dass die zugrundeliegenden Einschätzungen auf Expertenmeinungen beruhen, welche typischerweise zur Überschätzung technischer Potentiale neigen.
Weiterhin, so die Autoren, bleiben bei der Ermittlung des technischen denkbaren Potentials gesellschaftliche, rechtliche und ethische Hürden bei der Einführung neuer Technologien weitgehend unberücksichtigt.
Folgen für den Arbeitsmarkt
Ausführlicher und in einer szenariobasierten Analyse widmet sich das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg, dem Thema. 2016 veröffentlich das IAB seinen Forschungsbericht
„Wirtschaft 4.0 und die Folgen für Arbeitsmarkt und Ökonomie“.
Der Forschungsbericht erweitert seine erste Szenarioanalyse von 2015, die sich auf die Wirkungen von Industrie 4.0 auf den Arbeitsmarkt fokussiert hatte. Im Mittelpunkt steht jetzt ein Szenario, dass die Digitalisierung aller Dienstleistungsbranchen im Sinne einer Wirtschaft 4.0. beinhaltet.
Beim Vergleich der 2025 vollständig digitalisierten Wirtschaft 4.0 mit dem Basisszenario, zeigt sich ein moderates Minus von 30.000 Arbeitsplätzen, bezogen auf das Gesamtniveau der Arbeitsnachfrage.
Dagegen zeigen sich erhebliche Unterschiede in der Branchen-, Berufs- und Anforderungsstruktur sowie in einer Beschleunigung des Strukturwandels. In der digitalisierten Welt wird es im Jahr 2025 einerseits 1,5 Mio. Arbeitsplätze nicht mehr geben. Andererseits werden im Wirtschaft 4.0-Szenario zusätzlich 1,5 Mio. Arbeitsplätze entstanden sein.
Entwarnung?
Das klingt auf den ersten Blick nach Entwarnung. Allein, wenn diese Analyse zuträfe, stellen sich wichtige Fragen: Was passiert mit den 1,5 Millionen Arbeitnehmern, die bis 2025 ihren Job verlören? Nicht weniger relevant ist die Frage, welche Qualifikation in den 1,5 Millionen neuen Stellen benötigt würden und natürlich die Frage, wer sie auf Basis welcher Curricula ausbilden sollte? Es kämen also massive Herausforderungen auf die Wirtschaft, die Arbeitnehmer und nicht zuletzt das Bildungssystem in Deutschland zu.
Die Autoren, Wolters et al schreiben: „Im Ergebnis zeigt sich, dass eine Wirtschaft 4.0 den Strukturwandel hin zu mehr Dienstleistungen beschleunigen wird. Dabei sind Veränderungen im Charakter der Arbeitswelt zwischen Branchen, Berufen und Anforderungsniveaus weitaus größer als die Veränderung der Anzahl der Erwerbstätigen insgesamt.“ (IAB 2016, S. 7)
Und sie weisen am Ende ihrer Studie zurecht darauf hin, was als eine deutliche Mahnung der Autoren an Politik und Wirtschaft zu verstehen ist, dass eine zögerliche oder desorientierte Umsetzung der Digitalisierung in Deutschland den erwarteten Gewinn an Arbeitsplätzen auffressen würde: „Wenn Deutschland nicht in der Lage ist, eine Umsetzung der Wirtschaft 4.0 durchzuführen, dann werden andere Länder dies dennoch tun.
Und die Annahmen, die sich im obigen Szenario positiv auf Deutschland auswirken (Vorreiter, zusätzliche Nachfrage im Ausland, Wettbewerbsvorteile) richten sich dann gegen den hiesigen Wirtschaftsstandort. Produktionsrückgänge und zusätzliche Arbeitslosigkeit sind die Folgen.
Jene werden ausgelöst durch den Verlust an Wettbewerbsfähigkeit und die Verschiebung der inländischen Nachfrage hin zu importierten Produkten. Die Aufgabe kann also nur sein, den Übergang möglichst nachhaltig zu gestalten.“ (IAB-Forschungsbericht 13/2016, S. 64)
Zufriedenheit von Arbeitnehmern
Die aktuelle Studie des ZEW „Digitalisierung und die Zukunft der Arbeit“ vom April 2018 geht noch einen Schritt weiter und stellt die Ergebnisse auf Grundlage eines erweiterten Analyseansatzes vor. Neben einer gesonderten Befragung von Unternehmen und einer darauf aufbauenden Szenarioanalyse integrieren sie auch makroökonomische Analysen zur Bedeutung von Lohn und Fragen der Mobilität von Arbeitnehmern.
Im Mittelpunkt der Studie stehen drei Szenarien, die von unterschiedlich hohen Investitionen in neue Technologien ausgehen. Während als niedrigstes Investitionsniveau (im Status-Quo-Szenario) das der vergangenen 5 Jahre angenommen wird, entwickeln sich die Investitionen im Basisszenario entlang der Pläne der Unternehmen und erhöhen sich noch im Beschleunigungsszenario um bis zu 20 Prozent bei den 4.0-Technologien.
Die Autoren gelangen im Ergebnis zu erstaunlich klaren Aussagen. „Unsere Ergebnisse stehen in klarem Gegensatz zu den in der öffentlichen Debatte zuletzt immer wieder auftauchenden Befürchtungen, dass Digitalisierung und Industrie 4.0 massive Jobverluste bedeuten könnten.“ (S. 113).
Weiter heißt es: „Unsere Simulationen zeigen schließlich, dass die geplanten Investitionen der Betriebe in den nächsten 5 Jahren voraussichtlich eher zu mehr, statt zu weniger Beschäftigung führen werden. (…) Insgesamt zeigen unsere Ergebnisse, dass Industrie 4.0 vor allem die Struktur der Beschäftigung betrifft und sich nur schwach positiv auf die Gesamtbeschäftigung auswirkt. Insbesondere hoch-entlohnte analytische und interaktive Berufe gewinnen an Bedeutung.“
Hinter dem harmlos klingenden Wandel in der „Struktur der Beschäftigung“ könnten allerdings ganz handfeste Jobverluste oder jedenfalls enorme Umschulungsbedarfe stehen. Denn aus der Studie geht auch hervor, dass die Nachfrage nach von Menschen ausgeübten Routinetätigkeiten sowohl im manuellen als auch im kognitiven Bereich (Stichwort Wissensarbeit) spürbar zurückgehen dürfte.
Effekte der Digitalisierung
So hinterlässt die aktuelle Studie des ZEW einen ambivalenten Eindruck: Einerseits scheint mit hohen Arbeitsplatzverlusten durch Digitalisierung in mittlerer Perspektive bis 2025 nicht zu rechnen zu sein. Andererseits aber kommen gleichwohl erhebliche Umbrüche auf uns zu: Den im Saldo „schwach positiven Gesamtbeschäftigungseffekten“ stünde ein gewaltiger Umbau auf dem Arbeitsmarkt gegenüber, der, so die Autoren der Studie, mit einer wachsenden Beschäftigungs- und Lohnungleichheit verbunden sein dürfte, weil sich die jetzt schon vorhandene Polarisierung in hochbezahlte anspruchsvolle Jobs und niedrig entlohnte Hilfstätigkeiten durch die zunehmende Automatisierung weiter verschärfen dürfte.
Und auch die insgesamt zunächst eher steigende als sinkende Nachfrage nach Arbeitskräften ist keine feste Größe. Zunächst, so die Studie, führt der vermehrte Einsatz neuer Technologien eher dazu, dass Menschen gebraucht werden, um die 4.0-Technologien („Selbststeuernd“ und „IT-integriert“ (17) in die Arbeitsprozesse zu integrieren.
Erst ab etwa 2025 wird erwartet, dass sie ihre Automatisierungspotentiale voll zum Tragen bringen. Dann dürfte derselbe Effekt eintreten, wie bei den sich bereits im Einsatz befindlichen „3.0-Technologien“(„Indirekt gesteuert“ und IT-gestützt“): Die Maschinen ersetzen zunehmend menschliche Arbeitskräfte.
Zwischenfazit: Kein Grund zur Panik, sondern zum Umdenken
Im Licht der wichtigsten bisher zum Thema erschienenen Studien stellen sich einige Diskussionen etwas anders, komplexer dar: Erhebliche Veränderungen in der Branchenstruktur, den Arbeitsabläufen und vor allem den benötigten Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt durch die Digitalisierung scheinen offensichtlich. Ein Strukturwandel, den wir heute bereits in den Anfängen erleben, kündigt sich an, er wird aber kaum rezipiert. Wie wird er sich auswirken?
Langfristig, über 2025 hinaus, können selbst massive Arbeitsplatzverluste nicht ausgeschlossen werden. Kurz- und mittelfristig sind sie dagegen nicht zu erwarten. Somit bleibt gut ein Jahrzehnt Zeit, sich einerseits sofort auf die unvermeidlichen Wirkungen des digitalen Strukturwandels einzustellen, andererseits sich auch vorausschauend auf diejenigen Gestaltungsaufgaben einzustellen, die erwartbar sind. Selbstredend sind kontinuierlich weitere Analysen der defacto-Entwicklung zwingend geboten.
Zehn Jahre – das klingt erst einmal nach viel Zeit. Doch bedeutet der erwartete Umbau des Arbeitsmarktes im Rahmen von insgesamt 3 Millionen Stellen eine enorme Herausforderung für Bildung und Qualifizierung. Da erscheint ein Jahrzehnt als eine durchaus kurze Frist, um die richtigen Maßnahmen zu treffen, noch dazu in einem eher starren Bildungs- und Ausbildungssystem.
Wie können wir dem Wandel gerecht werden?
Des Weiteren wird man dem Wandel nur gerecht werden können, wenn zentral auch die Automatisierung von Wissensarbeit, also auch von Sachbearbeitung und Verwaltungsarbeit mit in den Fokus genommen wird. Hier kann auf das BMBF Verbundprojekt „smartAIWork“ hingewiesen werden.
Unter Federführung vom Fraunhofer Institut IAO wird erstmalig der Zusammenhang von humaner Sachbearbeitung mit und durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz empirisch untersucht. Die Autoren werden im Rahmen des Verbundprojekts bis Ende 2018 Szenarien zur Zukunft von Wissensarbeit entwickeln.
Die anstehenden grundlegenden Umbrüche in der Arbeitswelt hat nicht zuletzt Ulrich Mückenberger auf den Punkt gebracht, demnach sind digitalisierte Arbeitswelten durch eine doppelte Auflösung gekennzeichnet.
„[Einerseits] die Auflösung der Organisation (von der technisch-organisatorischen Einheit des Betriebes zu einem digital verbundenen Netzwerk) & [anderseits] die Auflösung des Arbeitsverhältnisses (der festen Bindung zwischen dem, der ‚Arbeit gibt‘, und dem, der ‚Arbeit nimmt‘).“ Wichtige Orientierungsgrößen und Gewissheiten des Industriezeitalters gehen also verloren und können nur vor dem Hintergrund einer neuen Gesamtperspektive verstanden und beantwortet werden.
Ressortübergreifende Strategien
Dass ein solch umfassender Blick auf die Thematik nötig ist, wird zweifelsohne nicht nur von unserer Seite so gesehen. So warnt etwa das Bundesarbeitsministerium in seinem Weißbuch Arbeiten 4.0 vom März 2017 davor, Themen isoliert zu betrachten und fordert eine „neue ressortübergreifende Innovations-, Forschungs-und Transferstrategie ‚Arbeiten 4.0‘“ (S. 193).
In eine ähnliche Richtung argumentiert der Band „Arbeit transformieren!“ der Hans-Böckler-Stiftung, der die Ergebnisse der Kommission zur Zukunft der Arbeit ebenfalls 2017 zusammenfasste. Zum besseren Verständnis und zur Klärung der absehbaren Konflikte im digitalen Strukturwandel wünscht man sich dort eine „transferorientierte Reflexion, idealerweise in Austausch mit allen relevanten Akteuren.“ (S. 227)
Einen solchen breiten, offenen und transdiziplinären Diskurs über die Zukunft der Arbeitsgesellschaft fordert und fördert auch die gemeinnützige Initiative D2030, an der die Autoren dieses Textes maßgeblich beteiligt sind. D2030 hat im vergangenen Jahr acht Szenarien für Deutschland im Jahr 2030 veröffentlicht, die als Einladung zum Weiterdenken und -diskutieren zu verstehen sind.
Die Szenarien machen es möglich, die erwartbaren Zukünfte in den Blick zu nehmen und daran anknüpfend eigene Gestaltungsperspektiven zu entwickeln. Hierfür eignen sich aus unserer Sicht v.a. drei unter dem Begriff „Neue Horizonte“ zusammengefasste Szenarien. Sie stehen für neue Formen akteursübergreifender, kooperativer und experimenteller Politikgestaltung.
Zwischenfazit
Auf der Grundlage unserer Analyse der Debatte und des Forschungsstandes zur Zukunft der Arbeit im digitalen Strukturwandel gelangen wir zu einem Zwischenfazit: Es geht um nicht weniger, als die Rolle der Erwerbsarbeit und mit ihr der Arbeitsgesellschaft auch neu zu denken. Wir haben versucht deutlich zu machen, dass sich in den nächsten zwei Dekaden bisherige Organisations- und Arbeitsformen erheblich verändern werden.
Die Intention ist es nicht erneut das „Ende der Arbeit“ einzuläuten. Aber wir plädieren dafür, dass wir die kommenden Jahre intensiv dafür nutzen, den Wandel vorausschauend zu verstehen, um auf Umbrüche vorbereitet zu sein und diese in einem emanzipatorischen Verständnis zu gestalten. Diesen Diskurs werden wir weiterhin begleiten.
Wir freuen uns auf Ihre Kritik und Anregungen zu unserem Beitrag.
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Sehr gute Aufbereitung der unterschiedlichen Studien. Großes Lob an die Bertelsmann Stiftung und das „Zukunft der Arbeit“ Team. Weiter so!