Es gibt mehr von ihnen, als wir denken. Jede/r hat schon einmal Bekanntschaft mit ihnen gemacht. In den meisten Fällen jedoch unbewusst, denn sie werden kaum bemerkt. Sie sind oft introvertiert, stehen deshalb selten in der Öffentlichkeit und wirken auf viele Menschen zudem seltsam, komisch und gar unheimlich: hochsensible / hochsensitive Personen (HSP). Man nennt sie auch “Menschen mit besonderer Begabung (MmbB)”.

Ich sehe bereits vor meinem geistige Auge die vielen Leser, mit großen Fragezeichen über ihnen: Was will uns der Autor damit sagen und was hat das mit dem Thema “Zukunft der Arbeit” zu tun?

Gerade die erwerbstätigen Menschen sind zur Zeit durch die Buzzwords wie Industrie 4.0, Digitalisierung, Disruption, Arbeit 4.0, War for Talent (Auszubildenden- und Fachkräftemangel), Transformation, Diversity, etc. höchst verunsichert. Auf der einen Seite gibt es da die Generation Y, die weniger den monetären Anreiz bei der Arbeit sieht. Sie strebt vielmehr eine sinnhafte Tätigkeit und ein Wohlfühl-Gesamtpaket, bestehend aus Selbstverantwortung, Wertschätzung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, flexible Arbeitszeiten und -orten sowie Feelgood-Management am Arbeitsplatz an. Auf der anderen Seite strebt die Generation Z weiter nach Karriere und die damit verbundenen Anerkennung.

Gleichzeitig befindet sich fast jede betriebliche Organisation im Globalisierungswettbewerb. Arbeiternehmer und Angestellten sind verunsichert, weil sie beim Blick auf diese Ausgangssituation nicht wissen, ob bzw. wie lange es ihre Berufe / Jobs durch die fortschreitende Technisierung/Digitalisierung in Zukunft noch geben wird. Gerade ältere Führungskräfte fürchten um ihre erworbenen Statussymbole, da ihnen die Generation Y ihren Platz im Organisationsgefüge streitig machen will.

Die Personaler in den Organisationen sind ebenfalls nicht zu beneiden. Sie sollen für die Organisationen den Kampf um die Talente gewinnen (War for Talent), in dem sie die “Verrückten” und “Spinner” für neue Innovationen und Ideen akquirieren sollen. Gleichzeitig sollen diese aber einen hervorragenden Uni-FH-Abschluss haben, sich schnell anpassen und natürlich den Standards und Normen der Organisation entsprechen. Was für ein Widerspruch! Die GFs und CEOs wiederum stehen mit ihren Organisationen im Globalisierungswettbewerb und damit im Wettbewerb um Zahlen, Daten, Fakten. Nach dem Motto: schneller, höher, weiter. Alles muss messbar und skalierbar sein.

Welch Stress für die Erwerbstätigen aller Hierarchiestufen! Viele Arbeitende haben bereits jetzt das Gefühl, beruflich abgehängt zu sein bzw. ins Hintertreffen zu geraten. Sie sind mit der derzeitigen Situation völlig überfordert. Und dieser Stress wird noch dadurch weiter befördert, dass die Organisationen in ihrer institutionellen inneren Logik im Industriezeitalter verharren.

Wo bleibt hier der Mensch?

Daher wird es zukünftig umso wichtiger sein, den Mensch wieder in den Mittelpunkt des Geschehens zu setzen und ihn mit auf den Weg in die sich verändernde Arbeitswelt zu nehmen, ihnen zuzuhören, ihre Ängste und Sorgen aufzunehmen und ihnen ein Arbeitsumfeld zu bieten, das es ihnen ermöglicht, sich in den Organisationen wohlzufühlen und ihr volles Potential zum Wohle der gesamten Organisation zu entfalten.

Und dabei wird den hochsensiblen / hochsensitiven Menschen (HSP) eine ganz besondere Rolle zufallen. Unternehmen werden nicht umhin kommen, in der Zukunft Menschen zu beschäftigen, die ganz besondere Begabungen und Fähigkeiten haben, denn diese besonderen Menschen werden essentiell dafür sein, dass ein Unternehmen zukunftsfähig und somit erfolgreich sein kann. Bei den HSP geht es nicht nur um hoch ausgebildete Menschen mit besonders vielen und hochwertigen Abschlüssen und/oder Zertifikaten, sondern eben auch um Menschen mit ganz besonderen Begabungen und Fähigkeiten, die für die Unternehmen anfangs eben nicht messbar und skalierbar sind.

HSP: Das bislang ungenutzte Potenzial in vielen Unternehmen

In unserer Leistungsgesellschaft haben es HSP schwer, sich durch- und damit ihre Begabungen und Fähigkeiten einzusetzen. Denn sie werden oft als Spinner, Verrückte, Querdenker, Exzentriker, Sonderlinge, Freaks, Außenseiter oder Eigenbrötler angesehen. Manch Führungskräfte nennen sie netterweise Träumer und für manche Menschen, gerade aus den höheren Ebenen der Organisationen, sind sie nicht ins System passende Sonderlinge, Quertreiber oder nicht steuerbare MItarbeiter.

HSP “ticken” aber nunmal anders. Sie:

  • nehmen äußere wie innere Reize mehr als sechsmal intensiver als der “Durchschnittsmensch” wahr,
  • benötigen mehr Ruhepausen,
  • haben es schwerer, sich zu konzentrieren und auf eine spezielle Aufgabe zu fokussieren,
  • messen selbst einfachen Dingen eine hohe Bedeutung bei, deren Klärung dann viel Zeit und Ruhe erfordert,
  • haben häufig den Wunsch nach Unabhängigkeit und Eigenverantwortung,
  • sehen Normen und Standards (gesellschaftlich wie wirtschaftlich) häufig als primitiv und ineffektiv an und sind damit systemisch für Führungskräfte eine Herausforderung und
  • haben einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, ein starkes Harmoniebedürfnis und eine hohe Werteorientierung, welches dem heutigen Ideal der Leistungsgesellschaft (Ellbogengesellschaft) stark entgegensteht.

Die genannten Besonderheiten und Bedürfnisse der HSP zu verstehen, wird eine Hauptaufgabe der Führungsebene sein. Andernfalls werden die positiven Begabungen und Fähigkeiten der HSP in betrieblichen Organisationen keine Chance haben.

Die Verantwortlichen in den Führungs- und Managementebenen haben sich bisher selten bis gar nicht mit diesen Menschen in ihren Organisationen beschäftigt, da die HSP mit vielen Vorurteilen zu kämpfen haben. Dabei geht es doch darum, ihren Sinn für Intuition, Empathie, emotionale Intelligenz, Fein- und Freigeist zum Wohle der betrieblichen Organisation zu nutzen.

Was können HSP in Organisationen bewirken?

Neben den genannten Verunsicherungen in einer betrieblichen Arbeitswelt im Wandel fördern auch zwischenmenschliche Konflikte, Kommunikationsprobleme und unternehmerische Glaubenssätze in Organisationen ein negatives Betriebsklima. Diese negativen „VIBES“  breiten sich schnell aus.

Wir kennen die übliche Kausalkette infolge eines unbefriedigenden und negativen Betriebsklimas: Es entsteht Unruhe in der Belegschaft in Folge innerer Unruhe oder

erhöhter Unzufriedenheit der Mitarbeiter. Burn-Out, höhere Krankenstände, innere Kündigungen sind die allseits bekannten Folgen. Arbeit bleibt zunehmend liegen, Kunden werden unzufrieden, Aufträge gehen verloren, das Image des Unternehmens leidet.

HSP können sich nun schneller und intensiver in die Menschen und die Organisation hineinfühlen und hineinversetzen als der “Durchschnittsmitarbeiter”. Sie bekommen dadurch leichter Zugang zu den (unzufriedenen) Mitarbeitern. Sie können dabei – wenn es gut läuft – als Impuls- und Ideengeber für die Auflösung des schlechten Betriebsklimas fungieren. HSP bilden dabei das empathische, emotionale Bindeglied zwischen Unternehmensführung und Mitarbeitern. Im Gegensatz zu den bereits vorhandenen Mechanismen in Organisationen, wie Vertrauenspersonen und dem Betriebsrat, müssen HSP im Idealfall frei von binnenpolitischen Vorgaben und Normen agieren. Viel wichtiger als Richtlinien wie Unternehmensoldaten zu befolgen ist ihre Fähigkeit zuhören, die Situation mit dem nötigen Abstand zu bewerten, die negativen Stimmungen frühzeitig zu erkennen und zwischen den Parteien zu vermitteln. Zudem nehmen sie die oft hoch emotionale Spannung aus den Konflikten und sorgen somit für die Beruhigung einer schwierigen Situation.

Weitere Vorteile sind, dass sie mit ihrem Freigeist, der Feinfühligkeit und Beobachtungsgabe für positive Energien und am Ende für ein besseres Betriebsklima sorgen. In der Außenwirkung (EmployerBranding) kann es bedeuten, dass sich Bewerber, Kunden und Partner für Organisationen entscheiden, die den menschlichen Aspekt in den Vordergrund stellen. In der Innenwirkung können HSP dafür sorgen, dass Mitarbeiter sich enger an das Unternehmen binden (weniger Fluktuation /Fachkräftebindung), da diese sich sicher sein können, dass ihnen zugehört wird, ihre Leistungen wertgeschätzt und ihre Anliegen ernst genommen werden

5 Grundsätze für das Arbeiten mit HSP

Die Grundsätze für die Implementierung von HSP und ihren Potenzialen in Organisationen können nur heißen:

Reflektieren – Vorstände, CEOs und GFs sollten ehrlich reflektieren und ihr Ego zurückstellen.

Sehen – Die Unternehmensführungen müssen sehen, dass nicht alles messbar, skalierbar und erklärbar ist und es Menschen gibt, die nicht messbare Stimmungen bereits sehr früh aufnehmen.

Erkennen – die Unternehmen sollten die positiven Auswirkungen durch HSP erkennen

Verstehen – die Unternehmen sollten die Besonderheiten und Bedürfnisse von HSP verstehen lernen und das entsprechende Umfeld für diese Menschen in ihren Organisationen  schaffen

Annehmen – die Begabungen und Fähigkeiten der HSP sollten als Gabe für das Unternehmen und nicht etwa als Systemfehler betrachtet werden

Es wird bereits seit einiger Zeit gefordert, Verrücktheit, Empathie, Authentizität, emotionale Intelligenz, Intuition und Querdenken in Unternehmen zu etablieren, um als zukunftsfähige Organisation, den anstehenden Herausforderungen durch 4.0, Digitalisierung, etc. gewachsen zu sein. Einzig der Mut vieler Arbeitgeber steht dem derzeit im Weg.

Dass HSP in Organisationen als Counselor „arbeiten“, ist natürlich kein automatischer Garant für gute Arbeit. Vielmehr ist es ein Mosaikstein auf dem Weg in eine „Zukunft der Arbeit“. Organisationen werden diesen Menschen mit besonderen Begabungen und Fähigkeiten mehr Aufmerksamkeit schenken müssen, um besser auf die digitale Disruption tradierter Geschäftsmodelle vorbereitet zu sein. Am Ende werden alle in einem Unternehmen Beschäftigten davon emotional wie monetär profitieren.

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