Es werden neue Berufsbilder entstehen

In manchen Bereichen wird die Arbeit der Zukunft nicht viel anders aussehen als die Arbeit der Gegenwart. Försterin bleibt Försterin. In anderen Bereichen werden dagegen völlig neue Berufsbilder entstehen. Eine Delphi-Studie zur Zukunft der Arbeit fragte nach genau diesen Jobs der Zukunft. Unter den Antworten der befragten Experten waren einige eher obskure Jobs wie die Empathie-Interventionistin oder der Ethik-Algorithmiker. Andere Zukunfts-Berufe lassen sich durchaus plausibel aus der heutigen Arbeitsmarktsituation herleiten, wie den Wohnort-Makler für Wissensarbeiter oder die Extrem-Genetikerin.

Gemeinsam haben die Berufe der Zukunft, dass die Gegenwarts-Bildung zu starr ist, um auf sie vorzubereiten. Um die Arbeit der Zukunft zu ermöglichen braucht es Bildung der Zukunft. In welcher Form sollen Schülerinnen und Schüler auf eine Vielzahl neuer Berufsbilder vorbereitet werden, wenn der Unterricht an ein einziges, gedrucktes, von der Schule angeschafftes Lehrbuch gekettet ist? Wie sollen Lehrkräfte die Vielfältigkeit und Veränderung ihres Unterrichtsgegenstandes darstellen, wenn sie nur im Graubereich der Legalität andere Materialien und Medienformen in den Unterricht einbringen können? Mit welchen Mitteln sollen Arbeitnehmer sich neue Wissensgebiete erschließen, wenn diese nicht vom traditionellen betrieblich finanzierten Fortbildungskanon bedient werden?

Die Bildung der Zukunft muss pluraler sein als die der Gegenwart ist. Anstatt die Komplexität der (Arbeits-)Welt auf ein Modell oder eine Denkschule herunterbrechen zu wollen, sollten wir nach möglichst vielen verschiedenen Antworten auf drängende Fragen suchen. Die Bildung der Zukunft muss offener sein als die der Gegenwart. Auch wenn sich der Prozess der Bildung nicht völlig von institutionellen Wegen (Studium, Ausbildung) trennen lässt, so sollte zumindest der Zugang zu digitalem Bildungsmaterial von jeder zeitlichen und räumlichen Restriktion befreit werden.

Open Educational Ressources

Zentrales Instrument einer Bildung der Zukunft, die auf die Arbeit der Zukunft vorbereitet, sind Open Educational Ressources (OER). Als OER werden all solche Lehr- und Lernmaterialien bezeichnet, die unter einer freien Lizenz (z. B. viele der Creative Commons Lizenzen) stehen. Derart lizensierte Werke können von jedem und zu jeder Zeit genutzt, verändert, rekombiniert und verbreitet werden, ohne Gefahr zu laufen mit dem Urheberrecht in Konflikt zu geraten. OER ist ein Prinzip, dass auf jede Form des Bildungsmaterials angewandt werden kann, ob Lehrbuch, PowerPoint-Folie, technische Zeichnung oder Fortbildungsvideo. OER bedeutet dabei jedoch nicht die Verlagerung jeglicher professioneller Inhalteerstellung in die Crowd, sondern fragt viel eher nach neuen Finanzierungsmodellen für Bildungsinhalte.

Die sich verändernde Arbeitswelt verlangt nach einer teilweisen Reorganisation der (Aus-)Bildung. Die folgenden drei Beispiele machen deutlich, wie OER diesen Prozess der Reorganisation unterstützt:

 Das lebenslange Lernen als zentraler Punkt

Für die Zukunft der Arbeit spielt die Idee des lebenslangen Lernens eine entscheidende Rolle. Freie Bildungsmaterialien erleichtern lebenslanges Lernen, da sie Zugang zu Bildung auch außerhalb stark institutionalisierter Bildungswege ermöglichen. Akademische Lehrbücher und Seminarfolien unter freier Lizenz entkoppeln die Inhalte eines Hochschulstudiums vom physischen Seminarraum und von der Taktung der Seminartermine. Frei zugängliche Videos der Volkshochschulen können den Sonntag-Abend Tatort ersetzen. OER unterstützen lebenslanges Lernen dadurch, dass sie Bildung (auch) in Häppchen erfahrbar macht.

Die Zukunft der Arbeit verlangt außerdem nach hochgradig individualisiertem Lernen. Die Anforderungen des Arbeitsmarktes differenzieren sich immer weiter aus und die damit zusammenhängenden Wissensbereiche verändern sich mitunter schneller als klassische Bildungsmedienanbieter reagieren können. OER erlauben es sogenannten „communities of practice“ – hoch spezialisierten Praktiker-Gruppen – bestehende Bildungsmaterialien unmittelbar den neusten Entwicklungen anzupassen. Anstatt auf eine Neuauflage zu warten, können Experten einer bestimmten Programmiersprache ein bestehendes Handbuch einfach selbst anpassen und innerhalb der Community verbreiten. OER machen es möglich, dass die Individualisierung der Bildung mit der Ausdifferenzierung der Arbeit schritthält.

Die Zukunft der Arbeit ist wissensintensiv (Stichwort: Automation). Immer größer wird daher der Bedarf nach Exploration, die Erkundung von Wissensbeständen außerhalb des gewohnten Silos. Stichwort ist hier die Serendipität – die eher zufällige Entdeckung etwas nicht explizit Gesuchten, im Rahmen eines Suchprozesses. Der freie Zugang zu Bildungsmaterialien verringert die Hürden der Exploration und erhöht die Möglichkeit der Serendipität. Stehen Schulbücher unter freier Lizenz können Schülerinnen und Schüler Wissensbestände erkunden die nicht durch das Lernmittelkontingent der eigenen Schule abgedeckt sind. Aktueller Vorreiter ist hier beispielsweise der Cornelsen Verlag, der kürzlich das Begleitmaterial für den Schul-Mikrocontroller „Calliope mini“ unter freier Lizenz veröffentlichte.

Ist Fachliteratur frei verfügbar, muss das berufsbegleitende Studium nicht mehr auf das Kernlehrbuch eines Seminars begrenzt sein, sondern Studierende können darüber hinaus in weiterführendem Material stöbern ohne dafür jedes der interessant klingenden Bücher anschaffen zu müssen – besonders an (Fort-)Bildungseinrichtungen mit begrenzter Bibliothek und fehlendem Zugang zu Lizenzen und Fernleihsystem ermöglichen OER so Exploration und Serendipität. Auch hier gilt somit: OER ermöglichen die schnelle Erkundung neuer Wissensgebiete und passen damit zum wissensintensiven Charakter der Arbeit der Zukunft.

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