Ein Gespräch mit Gebhard Borck über die Zukunft der Entgeltbalance

In unserer Proklamation Zukunft der Arbeit beschrieb Gebhard Borck den Weg hin zu einer neuen Balance zwischen Verantwortung, Leistung und Entgelt. Im Ansatz trennt er den Wert und die Leistung, die Mitarbeiter einbringen, vom Einkommen. So können Menschen ihre Arbeit verteilen und wertschätzen, ohne damit direkt in Geld-Verteilunskonflikte zu geraten.

Zum Anlass der bevorstehenden englischen Ausgabe der Proklamation (Proclamation on the Future of Work) konnte ich mit Gebhard über die Entwicklungen zu seiner Herangehensweise sprechen. Da ich immer Interesse daran habe, neue Formate der Content-Darstellung auszuprobieren, haben wir jetzt mal ein schriftliches „Zwiegespräch“ ausgewählt. Vielleicht ist der Textanteil noch nicht ganz gleichverteilt. Das wird sich in Zukunft natürlich noch ändern. Lasst uns gern Rückmeldungen, auch über das Format zukommen.

 

Ole: Gebhard, schon etliche Beraterfirmen und HR-Abteilungen haben in der Vergangenheit versucht, “Leistung” zu bewerten; mit unterschiedlichem Erfolg. Nun verlangst du von Firmen auch noch, dass sie nicht nur Leistung beurteilen sondern Gespräche über Leistung von Gesprächen über Entlohnung entkoppelt werden. Überforderst du nicht die HR-Abteilungen dieser Republik?

Gebhard: Zumindest fordere ich sie heraus. Allerdings mit einem guten Grund. Forschungen wie beispielsweise die von Kathleen Vohs zeigen, dass uns allein der Gedanke an Geld egoistisch macht. Finanzen zu besprechen fördert den Abstand in Beziehungen. In einer Firma wollen wir zuallererst gemeinsam leisten, einen Nutzen schaffen. Das braucht Kooperation. Sobald wir über das Finanzielle sprechen, zerfällt die Zusammenarbeit zugunsten von persönlichem Ertrag. Futterneid entsteht. Der Leistungsbeitrag für einen gemeinschaftlichen Mehrwert rückt in den Hintergrund. Leistung und Entgelt erst einmal auseinander zu halten hilft, offener, ehrlicher und konstruktiver über die eingebrachte Werte von allen Beteiligten zu sprechen. Außerdem bringe ich beides ja in einem späteren Schritt wieder zusammen. Allerdings als direkte Verbindung zwischen Marktbewertung – dem Geld der Kunden die unsere Produkte und Leistungen kaufen – und dem Wert, den die Beteiligten jeweils in die Firma einbringen.

Ole: Das bedeutet, man verdient plötzlich so wie die Kunden bezahlen. Ich kenne diese Debatte noch aus der Mitbestimmungsdebatte der 1970er Jahre und aus meiner eigenen Zeit als Mitarbeiter von ver.di. Du wirst sofort das (vielleicht nicht ganz falsche) Gegenargument bekommen, dass damit Risiken auf den Arbeitnehmer abgewälzt werden, ohne diesen dafür adäquat entlohnen zu können. Wie stehst du zu diesem Einwand?

Gebhard: Ich selbst bin seit über 16 Jahren Selbständiger und Unternehmer. Du beschreibst sehr genau meine Einkommensherausforderung. Ich stellte mir deshalb die Fragen:

  • Darf man das auf “normale” Arbeitnehmer übertragen? Ich sage ja, wenn man deren Klugheit und Kreativität haben möchte. Freiberufler stellen sich tagtäglich einem harten Wettbewerb. Ohne Reflexion, Wagemut, Wandelfähigkeit usw. scheitert man direkt. Engagement und Köpfchen sind Grundvoraussetzungen für einen möglichen Erfolg. Das alles wollen wir doch in Zukunft von immer mehr Mitarbeitern haben.
  • Sollen Menschen verstehen, welchen Wert ihr Tun hat? Auch hier, ja! Was könnte da ein besserer Gradmesser sein, als das Einkommen direkt mit dem Markt in Verbindung zu setzen?
  • Setzen wir die Menschen der vollen Unsicherheit des Marktes aus? Das ist sicherlich die spannendste Frage. Die sollte jede Firma für sich selbst beantworten. Ich bezahle mir beispielsweise ein Gehalt. Es ist nur ca. 60% – 70% meines für Einkommen zur Verfügung stehenden Geldes. Am Jahresende schaue ich dann, wie sind die letzten 12 Monate gelaufen, was für Investitionen braucht meine Zukunft. Dann kann es ein Weihnachtsgeld geben oder auch nicht. Das reduziert meine monatliche Dynamik und dennoch weiß ich immer auch, wie viel ich augenblicklich “wirklich” verdiene.
  • Was passiert mit dem Unternehmereinkommen, sprich dem Überschuss der Firma? Verlange ich von meiner Belegschaft, dass sie die Marktschwankungen mitgeht, sollte ich dieses Geld mit in den Einkommenstopf geben. Alles andere heißt die Mitarbeiter zu übervorteilen.

Ole: Dass du als Selbständiger vertraut bist mit diesen Überlegungen, kann ich gut nachvollziehen. Ich befürchte aber, dass dieser Anspruch den Durchschnittsangestellten oder Kleinstunternehmer schnell überfordern kann, weil er natürlich dafür auch gar nicht ausgebildet worden ist.

Gebhard: Das ist ohne Werkzeug unvorstellbar. Allerdings braucht die klassische Gehaltsbuchhaltung dazu ein Add-on. Heute gibt es bereits viele Werkzeuge zur Bonsugestaltung. Das fängt bei ganz einfachen Verkaufs-Stück-Beteiligungen an und gipfelt in komplizerten Berechnungsformeln.  Ein alternativer und neuer Ansatz ist, das gesamte Gehalt direkt vom Markt abhängig zu machen. Dazu simuliert man in einem ersten Schritt die Leistungs- und Wertverteilung einer beliebig großen Firma.  Danach spielt man das bestehende Einkommens-Budget der Firma ein und sieht sich die Veränderung der Gehälter an, wenn man die eigene Vorstellung der Wert-/Leistungsverteilung mit den unbeeinflussten Markterfolgen in Verbindung bingt. Schon allein die dabei entstehenden Diskussionen sind wertvoller als bei der reinen Gewinnverteilungsdebatte.

  • Welche Wertfaktoren beziehen wir ein?
  • Wer bringt sie ein?
  • Wie gewichten wir sie im Verhältnis zueinander?
  • Was an unseren Vorstellungen ist falsch, wenn die Gehälter dann anders aussehen als erwartet?
  • usw..

Ole: Okay, es gibt also Werkzeuge, mit denen man erreichen kann, dass Firmen anhand der selbstbestimmten Leistungsverteilung ihre Umsatzerlöse an die MItarbeiter ausschütten? Ich höre schon den Aufschrei von Investoren, Banken usw. Was hältst du denen entgegen? Oder anders gefragt: Haben oder sollten die in Zukunft überhaupt noch mitreden dürfen im Rahmen eines solchen neuen Unternehmenskonstruktes?

Gebhard: Wir suchen schließlich nach zukunftsfähigen Lösungen! Dafür brauchen wir ein anderes Verständnis von Gehalt und dessen Verteilung bei allen Beteiligten. Nur so stützt es die Umsetzungen für Firmen, mit hoher Eigenverantwortung, dezentralen Entscheidungsstrukturen und dergleichen mehr. All die Interessen der von dir genannten Parteien berücksichtigen wir trotzdem. Es ist ja eine schlichte Rechenaufgabe, wie viel Geld für Gehälter gesamt übrig bleibt, nachdem wir unsere Verpflichtungen diesen Shareholdern gegenüber erbracht haben. Natürlich können wir sie auch als Beitragende in den Wert-/Leistungs-Verteilungs-Baum aufnehmen.

Ole: So schön es klingen mag, Gebhard, aber ich höre auch schon die Einwände der alten Führungsriegen und der HRler. Die werden sagen, dass da mehr dranhängt als ein Baumdiagramm oder ein einfaches Steuerungs-Tool. Oder umgekehrt: Wie verhindern wir, dass sich die alte Machtelite in den Unternehmen das eigene Gehalt zu Lasten der Untergebenen “optimiert”?

Gebhard: Das ist die grundlegende Herausforderung. Du hast Recht. Firmen, die ihre Geldflüsse verdeckt halten, versuchen vermutlich über diese Mechanik ihre Mitarbeiter noch weiter auszubeuten. Unternehmen allerdings, die Kassentransparenz herstellen, bekommen einen Schlüssel in die Hand, der die Tür in eine Welt öffnet, in der alle Mitarbeiter tatsächlich zu Unternehmer im Unternehmen werden. Wie anders als unternehmerisch denkt ein Mensch, der an seinem Einkommen sieht, wie erfolgreich sich seine Leistung im Markt verkauft?

Mitarbeiter sollten beachten: Bei diesem System bitte nur mitmachen, wenn eure Firma Kassentransparenz herstellt. Alles andere ist unseriös.

Ole: Na ja, kurze Rückfrage: Das eine ist eine kulturelle, das andere eine technische Frage. Wie kann man denn die Kultur dafür verändern, dass Führungskräfte lernen, transparent und wertschätzend zu agieren, bevor man versucht, diese Ungleichgewichte allein durch ein Tool zu adressieren?

Gebhard: Für mich ist das eine Henne-Ei-Frage. Oft finden wir die mechanistischen Gedanken in den bestehenden Tools tief verwurzelt. Natürlich kann mir niemand vorschreiben, wie ich ein Werkzeug einsetze. Dennoch braucht es häufig viel Entwicklung um den Funktionskern herum, will ich mit dem Vorhandenen das Zukünftige abbilden. Ich empfehle allen, zuerst die Kulturentwicklung anzugehen. Sobald sie ein wenig greift, ist es sehr hilfreich, sie direkt mit passenden Werkzeugen zu stützen. Das alles zusammen verlangt den Mut, die Führungskräfte damit zu konfrontieren. Ob sie es dann lernen wollen, liegt maßgeblich an ihnen selbst.

Ole: Danke dir, Gebhard für unsere kleine Diskussion. Ich finde es immer wieder spannend, neue Wege zu finden, verkrustete Firmenstrukturen aufzubrechen, um die Firmen fit für die Digitalisierung und neue Teilhabeformen zu machen. Dabei stehen für mich Kultur und Technik, wie du es am Ende ja auch betont hast, in einem Wechselverhältnis. Damit gehören unsere Meinungen aber zu einer Minderheit. Überwiegend werden nach wie vor Technik- und Kulturdebatte leider getrennt betrachtet. Was dabei häufig vergessen wird: Technisch hergestellte Transparenz kann in der Folge die Unternehmenskultur verändern.

 

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