Mittlerweile organisieren wir unsere Freizeit digital mittels Tablet und Smartphone und erwarten eine Infrastruktur dazu und die Kompetenz der Anbieter, Interaktion zu ermöglichen. Mittlerweile bedienen wir in unserem Alltag zahlreiche Automaten und vernetzte, intelligente Geräte vom Fahrkartenautomaten bis hin zum smart gesteuerten Fensterrollo im Haus. Selbst beim Arztbesuch sind wir daran gewöhnt, den Computer im Gespräch zwischen dem Mediziner und uns selbst stehen zu haben. Unsere Bestellungen werden immer personalisierter – individuell, auf Wunsch und nach Maß.
Wir sind smarte Bürger und gewöhnen uns immer mehr daran, unser Leben auch vernetzt zu gestalten. Wir sind Produzenten und Konsumenten zugleich, auf jeden Fall sind wir zunehmend Beteiligte. Warum also sollte sich ausgerechnet die Arbeit als ein zentraler Bestandteil des Daseins dieser Logik entziehen?
Festhalten an alten Gemäuern
In vielen Betrieben wird noch nicht vernetzt gearbeitet. Im Gegenteil, die Beharrungskräfte sind enorm, an alten Hierarchieformen festzuhalten, in Silos zu denken und interdisziplinäres Teilen möglichst auszuklammern, denn die Verlustängste an Reputation und Deutungshoheit insbesondere der Entscheider sind zu groß. Dabei wird die künftige Wertschöpfung virtuell sein, interaktiv und weitgehend auf dem Prinzip des Teilens basieren.
Seltsamerweise überlassen wir das vernetzte Denken und Arbeiten bereits den Maschinen, die längst interaktiv miteinander agieren. Im Zentrum der Industrie 4.0 arbeiten vernetzte Maschinen mittels Sensoren und lernen voneinander, werden in der Zusammenarbeit sogar besser. Ein Übertragen dieser Vernetzungsleistung auf die menschliche Arbeit wäre angebracht.
Erkennen wir die Diskrepanz nicht, weil die Digitalisierung in ihrer ersten Auswirkung auf die Produktion beschränkt war und eher Arbeiter in der Werkhalle betraf, die sogenannten Blue Collar workers?
Arbeitsfrei
Constanze Kurz und Frank Rieger beschreiben in ihrem Buch Arbeitsfrei – Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen, wie eine Mühle oder die Werkhalle eines Autobauers oder Mähdrescherherstellers einst von Arbeitern bevölkert waren, während heute nur noch eine Handvoll Mitarbeiter benötigt werden und diese dabei sogar produktiver sind. Bald werden sich Banken, Versicherungen und auch Verwaltungen dieser Tatsache stellen müssen. Auch hier wird es zunehmen heißen: arbeitsfrei.
Die Angestelltenschaft, die Wissensarbeiter als sogenannte White-Collar-Riege sieht sich damit konfrontiert, dass Algorithmen auch ihre Arbeit künftig besser machen könnten. Oder es bereits tun. Ein Turingtest etwa im Journalismus zeigt: Ein Algorithmus schreibt heute schon Fußballreportagen für die noch gedruckten Zeitungen so, als stammten sie von dem bekannten Kommentator Béla Réthy – und in Wirklichkeit war es ein Rechner.
Die intelligenten Systeme sind also umfassend angekommen in unserem Alltags- wie Berufs- leben. Und dann soll die Interaktion von Mensch zu Mensch noch 1.0 funktionieren – mit starren Hierarchien und festgelegten Entscheidungen, die Einzelne treffen ohne dabei das Wissen der Vielen berücksichtigen zu wollen oder zu müssen? Wäre eine intelligente Vernetzung mit disruptiven Möglichkeiten der Kreativität nicht unbedingt notwendig? Trauen wir der Interaktion von Mensch-Maschine mehr zu als der Interaktion von Mensch zu Mensch?
Menschen sind kreativer, können Empathie erleben, vermitteln und in Wertschöpfung umsetzen. Das ist ein Faktor, der den Maschinen (bisher) fehlt.
Auch Innovation entsteht in der Cloud – in der Interaktion von Mensch und Maschine sowie im Netzwerken von Mensch zu Mensch, im Lernen voneinander. Jeder, der mit neuen Formen der Vernetzung positive Erfahrungen gemacht hat, will nicht mehr zurück in das Arbeiten 1.0 nach starren Hierarchien und traditionellen Begrenzungserfahrungen.
Exogene Befeuerung
Wie also kommt man von Arbeit 1.0 zu Arbeit 4.0? Der individuelle Wunsch nach Veränderung der Arbeitsweisen wird exogen befeuert: Unsere Umwelt ändert sich exponenziell, was heute noch üblich erscheint, hat morgen an Geltung verloren. Ein Beispiel: Heute ernten Menschen Erdbeeren von Hand, morgen erledigt das ein Ernteroboter. Um damit umzugehen, braucht es andere Fertigkeiten, andere Perspektiven und Herangehensweisen als bisher. Gemeint sind etwa vernetztes Denken, Medienkompetenz und Kompetenz im Umgang mit dem Ungewissen sowie Datenverständnis und Wissen um Datenveredelung.
Insbesondere der Umgang mit der Ungewissheit ist in der Maschine-Maschine-Interaktion nicht wirklich vorgesehen. Hier steht die klare Berechnung des Aktuellen und auch die Berechenbarkeit der Zukunft im Fokus. Kommt der unberechenbare Faktor Mensch ins Spiel, entstehen Unwägbarkeiten. Diese Unwägbarkeit, das Ungewisse ist aber genau der Rohstoff, der disruptive Chancen ermöglicht: Neue Geschäftsmodelle sind in der Regel usergetrieben, direkt an den Bedarf der Individualisierung und der Eigenheit gebunden. Hierin liegen Chancen der Mensch-Mensch-Interaktion, durch künstliche Intelligenz noch nicht zu ersetzen und durch die neuen Techniken des Arbeitens als neuer Rohstoff einsetzbar.
Neuordnung von beweglicher Interaktion
Dafür braucht es eine neue Architektur der Führung, die auf den Regeln des fluiden Ineinanderwirkens basieren muss. Viele Fachartikel beschreiben Führungskräfte als bremsende Instanz, als Stoppschicht zwischen einem „oben“ und „unten“ und Blockierer einer Neuordnung von beweglicher Interaktion. Diese nicht vernetzten und hierarchischen Strukturen blockieren die Teilhabe der gesamten Belegschaft, denn in der Regel beharren die 15 Prozent Führungskräfte auf dem Überkommenen, so dass 85 Prozent – die übrige Belegschaft – keine Innovation auf die Straße bekommt, weil sie von Weisungen abhängig sind. Oder gar nicht erst gefragt werden. Gerade hat eine der nationalen Vorzeigefirmen wie VW bekennen müssen, dass der Führungsstil des Hauses an Oligarchie oder gar Diktatur erinnere – was einem tiefen Fall deutlich Vorschub geleistet hat.
Vernetzte und intelligente Systeme wären längst nicht derart selbstreferenziell und verwundbar gewesen. Sie hätten sich womöglich selbst korrigiert, weil sie nicht-linear sind und Spontanaktivität der Teilnehmer zulassen. Manipulationen auf Geheiß von oben mit dem Ziel der Kostenminimierung und Vermarktung wären im Prinzip des geteilten Wissens nicht umsetzbar gewesen. Vernetztes Wissen zielt auf plurale Meinungsbildung und bildet grundsätzlich den Wertekern, etwas für alle besser (nutzbar) zu machen. Es basiert auf der Verschiebung vom Anbieter zum Nachfrager, der Teilhaber und Produzent ist und und das Geschaffene kaum Kriminalität oder Zerstörung überlassen wird.
Damit sind die Aspekte, die sich im neuen Zusammenwirken von Mensch und Maschine ergeben werden, nur angerissen. Die Möglichkeiten der Veränderung auf diesem gemeinsamen Weg sind vielfältig. Man muss sie diskutieren. Nur eines sollte man nicht: Glauben, dass sich vernetztes Arbeiten als vorübergehende Modeerscheinung wieder verflüchtigt. Und Angst vor Vernetzung oder den Möglichkeiten von Arbeit 4.0 ist gänzlich unangebracht. Der Brückenschlag zwischen Mensch und Maschine ist dabei eine weitere Chance.
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