Heute zählt man die kurz aufeinanderfolgenden Zeitalter der Menschheit in Release-Versionen. Arbeiten war früher, nun ist Arbeiten 2.0 angesagt, also das Arbeiten mit allen seinen digitalen Möglichkeiten und Techniken. Vor einiger Zeit kam das Modewort von der Industrie 4.0 auf, eine Bezeichnung für die totale Vernetzung der Maschinen und Produktionsplattformen, jetzt fragt man sich, was in dieser Welt das Arbeiten 4.0 bedeuten könnte. 3.0 ist irgendwie ausgefallen, weil man sich nicht so genau vorstellen konnte, was 3.0 überhaupt sein könnte, und deshalb spricht man jetzt gleich von 4.0; das ist damit so weit weg, dass es noch kein Fehler sein kann, wenn es keine genauen Vorstellung geben kann. Hemmungslose Spekulation ist jetzt verzeihlich!
Ich probiere dann aber doch, eine konkrete Aussage zu machen, die gefällt leider den meisten von Ihnen nicht. Hilft nichts. Ich bitte Sie: Ich sage doch nur, was wirklich kommt – und nicht, was ich will, wünsche oder was Ihnen in Ihr Konzept passt.
Zwei Bewegungen
Das Arbeiten 4.0 wird von zwei ganz verschiedenen Bewegungen eingeleitet, die heute mit immer dringlicherem Ton in allen betrübten Varianten in der Presse beklagt werden. Man liest von Bildungsproblemen, von der großen Schere zwischen Arm und Reich, von einer sich abkoppelnden Elite, vom Ende unseres Wirtschaftssystems. Aha, der Kapitalismus stirbt jetzt und die Globalisierung ist schuld. In Wirklichkeit aber rationalisieren Computer und Netz unsere Arbeitsplätze – nicht weg, aber sie übernehmen von jedem unserer Berufe den einfachen Teil.
Manche Berufe verschwinden natürlich ganz: Taxifahrer bei selbstfahrenden Autos zum Beispiel, dann auch Verkehrspolizisten und so weiter. Die Bankberater werden durch Robo-Advisor (siehe Wikipedia) ersetzt, das sind Computeralgorithmen, die jedermann im Internet für seine Vermögensanlage nutzen kann: Wir antworten dem Robo-Advisor einfach im Netz auf genau die Fragen, die uns der menschliche Berater heute noch stellt, dann drücken wir selbst „enter“ am Computer und lesen das, was uns der Mensch (in seiner Rolle als Computersklave) als „seinen persönlichen Rat“ gibt (eigentlich nur als Flachbildschirmrückseitenberater vorliest), nun einfach ohne Kosten selbst.
Diese fatale Entwicklung, dass eben Computer immer besser mithalten können, entwertet unendlich viele Arbeiten und vernichtet viele ganz. Die Arbeiten an sich sind weiter wertvoll, aber der Anteil, den der Mensch heute noch gegen gutes Geld dazu leistet, wird kleiner und kleiner. Damit sinken die Löhne, die Zahl der Unqualifizierten ohne Arbeit steigt. Sie finden kaum noch Jobs, die Armutsnähe droht heute im Niedriglohnbereich aller Couleur – und wer heute schon an der Armut vorbeischrammt, ist im Alter bei der heutigen Rentenlage und der Nullzinszeit dann wirklich arm dran.
Wo ist ein Ausweg?
Der Mensch muss einen Mehrwert gegenüber „dem Internet“ und „den Robotern“ bieten. Was muss der Mensch der Zukunft können? Lassen Sie mich einmal formulieren, was in „High-End-Berufen“ heute verlangt wird:
„Arbeit in international vernetzten Projekten in einem örtlich verstreuten Team aus verschiedenen Kulturen. Verhandeln mit Einkäufern, Managern, Projektleitern, Ingenieuren. Erstellen und Verkaufen von neuen Zukunftskonzepten in einem Klima, das Change eher ablehnt. Empathie für Kunden, Kommunikation auf vielen Kanälen. Sinn für Erfolg. Talent, Dinge voranzutreiben und andere dabei motivierend mitzunehmen.“
Das sind die Breitenanforderungen an solche Menschen, die über den Maschinen alles regeln. Ja, und dann gibt es noch fast unendlich viele sehr spezielle Berufe wie „Ingenieur für Gleichgewichtssensoren“ etc. Unsere Gesellschaft ist auf beides, das Breite und das Spezielle, nicht so gut vorbereitet. Verhandeln, Führen, Verkaufen & Co. Gehören zur Persönlichkeitsentwicklung, die aber so weder in der Schule noch an der Universität Thema ist. Dort ist der Gedanke 4.0 noch nicht angekommen. Auf der anderen Seite braucht die Industrie sehr viele Spezialkräfte der Art „zehn Jahre Hydraulikerfahrung“, die findet sie nicht, weil unsere Gesellschaft all diese Berufe während der Bildungsphase gar nicht thematisiert. Jungen Menschen werden die Perspektiven gar nicht aufgezeigt… Und weil das Bildungssystem versagt, kommen besonders diejenigen jungen Menschen in neuen Berufen groß raus, die die Gnade berufener Eltern zu haben, die das können – ihre Kinder 4.0 nahezubringen. Das Bildungssystem 1.0 erzeugt die Ungleichheit, weil es Rückständigkeit vermittelt.
LLL in einer anderen Welt
Alle reden nur blasenhaft vom LLL, vom Lebenslangen Lernen, aber das Bildungssystem lernt eigentlich nicht selbst. Es tut so, als würde sich nur der zu lernende „Stoff“ verändern, es geht aber um einen anderen Menschen in einer ganz anderen Welt 4.0.
Bildquelle: CommonLens.de
Hinweis des Orga-Teams: Gunter Dueck wird das BarCamp Arbeiten 4.0 (03.06.15, Berlin) mit einer Keynote eröffnen. Die kostenlosen Tickets sind derzeit alle vergriffen, es gibt aber eine Warteliste.
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Sehr informativer Artikel – danke dafür! Die Anforderungen an den durchschnittlichen Arbeitnehmer werden meiner Meinung nach dramatisch ansteigen. Mal sehen, wie unsere Gesellschaft das verkraftet.
Lernen wird zur Kernkompetenz – dies allerdings in einem eher schwierigen Umfeld, das zwar in Organisationen aller Art Lernen zwar anerkennt, aber bislang meist nur in fest vorgegebenen Rahmen und sehr fokussiert. Daraus resultieren die vielen Angebote an (Zertifizierungs-)Seminare mit festem Lehrplan aus dem fest definierten internen Weiterbildungskatalog, der bei wenigen den Bedarf trifft, bei den meisten aber zumindest teilweise – und manchmal weit – daran vorbeigeht.
Noch fällt es offensichtlich schwer für diejenigen, deren Potenziale/Möglichkeiten, Talente und Erfahrungen nicht in dieses Raster passen, Bildungsangebote (gerade auch nach Schule und Universität) bereitzustellen.
Dies ist für mich jedoch eine der Kernaufgaben und zukünftigen Kernkompetenzen von Unternehmen X.0, also denjenigen , die in Zukunft mit dem Wettbewerb auf Augenhöhe agieren wollen.
Notwendig dafür sind Entwicklungen in Führung und der Kultur der Organisationen. Die Mitarbeiter brauchen Vertrauen in die Organisation und in sich selbst, um neue Lernwege beschreiten und davon profitieren zu können. Und „die Führung“ sollte verstehen, dass es für Kompetenz, also die Verbindung von Wissen und Erfahrung, nicht unbedingt Zertifikate braucht, sondern persönliches Interesse am Thema und der individuellen Weiterentwicklung.
Eine Möglichkeit dies zu unterstützen sind aktiv gestaltete Lern- und Arbeitsnetzwerke, in denen mit einem hohen Maß an Transparenz, Verbundenheit und (da ist das Stichwort wieder) Vertrauen miteinander und füreinander gelernt und gearbeitet wird.
Ein paar meiner Gedanken dazu habe ich in einer kleinen Gruppe HR Verantwortlichen von einem kleinen Vortrag vorstellen dürfen. Die Slides dazu finden Sie hier: http://www.slideshare.net/diggibo01/lernen-alleine-reicht-nicht-mehr
P.S. Ich hatte die Freude, dass Gunter Dueck in meiner kleinen Interviewreihe „ArbeitsVisionen2025“ seine Perspektive auf die Zukunft der Arbeiten geteilt hat. Das Interview kann man hier nachlesen: http://bosbach.mobi/wordpress/interviewreihe-arbeitsvisionen2025/gunter-dueck-arbeitsvisionen2025/
Digitalisierung macht Angst – fast jedem von uns in der einen oder anderen Weise
Angst ist kein guter Ratgeber wenn es um die Ableitung von Handlungen geht. Diese
sind dann zumeist instinktiv und kurzfristig orientiert (Schutzreflex).
Welche Sicherheit können wir (gemeinsam) aufbauen, dass aus der Angst das Sehen
einer zukünftigen Chance wird? Wie schaffen wir dies in einer Zeit des kontinuierlichen
Umbruchs und Wegbruchs von bestehenden Annahmen, Werturteilen und Gewohntem?
Das vom deutsch-amerikanischen Psychologen Kurt Lewin entwickelte 3-Phasen-Modell
möchte ich in diesem Zusammenhang erwähnen, http://de.wikipedia.org/wiki/3-Phasen-Modell_von_Lewin